13.05.2014LPK-Studie zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung veröffentlicht

Eine neue Studie zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung in Deutschland liefert aktuelle Zahlen zu Wartezeiten auf einen Therapieplatz, Therapieausfällen, Arbeitszeiten von Psychotherapeuten und Therapieverfahren. An der von Rüdiger Nübling, Karin Jeschke, Matthias Ochs und Jürgen Schmidt im Frühjahr 2012 durchgeführten Befragung nahmen über 2.300 Psychotherapeuten aus fünf Bundesländern teil. Die Studie versteht sich als ein Beitrag zur psychotherapeutischen Versorgungsforschung. Der komplette Bericht zur Studie kann auf dieser Seite heruntergeladen werden.

Approbation, Arbeitskontext und -zeiten
Etwa drei Viertel der Befragten sind Psychologische Psychotherapeuten (PP) und ein Viertel Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (KJP); etwa 10 % sind doppelt approbiert. Etwa Dreiviertel betreiben eine KV-zugelassene Praxis, knapp 20 % eine „freie“ Praxis ohne Zulassung und weitere ca. 7 % arbeiten in einem institutionellen Rahmen (Beratungsstelle, Psychotherapie-Ambulanz, u. ä.). Aus den Angaben aller Befragten ergibt sich durchschnittlich eine Jahresarbeitszeit von 43 Wochen, eine Wochenarbeitszeit von 35 Stunden und eine Therapiezeit von 27 Behandlungsstunden. Betrachtet man allein die Psychotherapeuten mit 100 % KV-Zulassung kann von wöchentlich 29 Behandlungsstunden (1.350 Stunden jährlich) und einer Wochenarbeitszeit von 43,5 Stunden (1.900 Stunden jährlich) ausgegangen werden, wovon 14,5 Stunden, entsprechend ca. 33% für Tätigkeiten außerhalb des direkten Patientenkontaktes aufgewendet werden, wie z. B. Verwaltungsaufgaben, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen oder QS/QM. Bei genauerer Differenzierung ergibt sich, dass die wöchentliche Behandlungszeit bei weiblichen Psychotherapeuten im Schnitt um fünf Stunden niedriger ist als bei männlichen. Für Psychotherapeuten in „freier“ Praxis sind alle Werte zur Arbeitszeit um ca. 25 % niedriger, was darin begründet liegt, dass diese Psychotherapeuten meist noch zusätzlich bzw. parallel als Angestellte in einem institutionellen Kontext arbeiten.

Therapieausfall
Neue Zahlen liefert die Studie bezüglich des regelmäßigen Ausfalls von Therapiestunden. So werden monatlich im Schnitt sechs Stunden von Patienten abgesagt, wovon viereinhalb Stunden kurzfristig nicht neu belegt werden können. Dies ergibt hochgerechnet auf alle in Deutschland niedergelassenen Psychotherapeuten einen wahrscheinlichen jährlichen Therapieausfall von 800.000 Stunden. Damit könnten 20.000 zusätzliche Patienten mit einer 40stündigen Therapie versorgt werden.

Finanzierungsgrundlage
Die Finanzierung von Therapien ergibt bei KV-zugelassenen Praxen ein eindeutiges Bild. Dort werden 86 % der Behandlungen von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt, jedoch nur 10 % von der privaten und 2 % der Patienten sind Selbstzahler. In freien Praxen überwiegen die Privatpatienten mit 34 %, Selbstzahler stellen 42 %, während gesetzlich Versicherte nur 20 % ausmachen.

Besondere Patientengruppen
Die überwiegende Mehrheit der niedergelassenen Psychotherapeuten behandelt Patienten mit Borderline-Störungen (74 %), Patienten mit niedrigerem Bildungsniveau (72 %) oder Patienten, die älter als 60 Jahre sind (66 %), weniger als die Hälfte behandelt Patienten mit ADHS (45 %), ein starkes Drittel Patienten mit Psychosen (38 %) und ca. 16 % geistig behinderte Patienten. Beim Vergleich zwischen KV- und freien Praxen ergeben sich für Letztere niedrigere Anteile.

Therapiedauer
Die durchschnittliche Therapiedauer liegt bei ca. 70 Sitzungen, das ist deutlich mehr als in anderen Erhebungen und den offiziellen KV-Statistiken berichtet wird, wo die Zahlen zwischen 36 und 46 Stunden schwanken. Der Unterschied liegt vermutlich darin begründet, dass in der aktuellen Studie nicht nach genehmigten und nicht genehmigten Therapiesitzungen unterschieden wurde und nur regulär beendete Behandlungen erfragt wurden (also z.B. abgebrochene Therapien nicht eingingen) sowie deutlich mehr Analytische Psychotherapien vertreten waren als in vergleichbaren Studien. Deutliche Unterschiede wurden erwartungsgemäß auch zwischen den Therapieverfahren festgestellt. So liegt die mittlere Therapiedauer bezogen auf die letzten fünf regulär abgeschlossenen Therapien für Verhaltenstherapie bei ca. 40 Stunden, für tiefenpsychologisch orientierte Psychotherapie bei 62 Stunden und für analytische Psychotherapie bei knapp über 120 Stunden.

Wartezeiten
Laut den bei der Befragung erhobenen Daten müssen Patienten durchschnittlich 7,2 Wochen auf ein Erstgespräch und 15,5 Wochen auf einen Therapieplatz warten. Diese Zahlen entsprechen, bezogen auf die untersuchten Bundesländer, in etwa denen in der Wartezeiten-Studie der BPtK. Ein interessantes Ergebnis dabei ist, dass die Wartezeiten für Verhaltenstherapie sowohl hinsichtlich Erstgespräch als auch hinsichtlich Therapieplatz höher (9,0/16,7 Wochen) sind als für die tiefenpsychologischen (6,8/15,2 Wochen) bzw. analytischen Verfahren (4,7/14,4 Wochen). Unabhängig vom Verfahren sind die Wartezeiten in freien Praxen teilweise weniger als halb so lang als in KV-zugelassenen Praxen. Auch regional konnten erhebliche Schwankungen festgestellt werden. So reichen die durchschnittlichen Wartezeiten auf einen Therapieplatz von ca. 9 (Kreise Rastatt, Emmendingen und Friedrichshafen) bis ca. 28 Wochen (Kreis Neuwied). Die Universitätsstädte Heidelberg, Mannheim, Freiburg, Berlin, Ulm, Mainz und Tübingen liegen mit kürzeren Wartezeiten unter dem Gesamtdurchschnitt, während Hamburg, Frankfurt oder Trier mehr oder weniger deutlich über dem Gesamtdurchschnitt liegen.

Antragsverfahren
Etwa 50 % der Befragten mit KV-Zulassung berichten davon, dass es in der letzten Zeit häufiger vorgekommen sei, das Anträge auf Therapiebewilligung weder voll befürwortet noch abgelehnt wurden, sondern nur ein Teil des möglichen Kontingentes vom Gutachter bewilligt wurde. Insgesamt ist dies laut Studie ungefähr viermal so häufig der Fall wie in den vergangenen Jahren. Hier kann kritisch diskutiert werden, wie viel Therapiezeit für diesen bürokratischen Aufwand „verschenkt“ wird.

Die vorgelegte Studie leistet einen wichtigen Beitrag zur noch immer sehr bescheiden vorhandenen psychotherapeutischen Versorgungsforschung. Insgesamt erscheint es aus Sicht der Autoren notwendig, ähnliche Erhebungen, auch unter Federführung der Psychotherapeutenkammern, bundesweit durchzuführen.

Die Autoren sowie der Kammervorstand bedanken sich herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen, die sich an der Studie beteiligt haben sowie auch den Mitarbeitern der Geschäftsstellen der beteiligten Landekammern.


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