ARCHIV: WISSENSWERTES 2005


Hier lesen Sie kurze Artikel und Nachrichten zu Themen der Gesundheitsversorgung und Psychotherapie
 
 

 12.4.05 Forschungspreis des Landes Baden-Württemberg geht an Prof. Dr. Herta Flor und Prof. Dr. Josef Wieland

Der baden-württembergische Wissenschaftsminister Prof. Dr. Peter Frankenberg gab am 11. April die Träger des Landesforschungspreises 2004 bekannt. Mit dieser Auszeichnung, die zum 15. Mal vergeben wird, stellt das Wissenschaftsministerium einmal im Jahr herausragende Forscherinnen und Forscher der Öffentlichkeit vor. Das Preisgeld beträgt je 100.000 Euro für Arbeiten in den Bereichen Grundlagenforschung und angewandte Forschung. Mit dieser Dotierung vergibt das Wissenschaftsministerium das höchste Preisgeld eines Bundeslandes, "ein Beleg dafür, dass Wissenschaft und Forschung in Baden-Württemberg einen Schwerpunkt der Landespolitik bilden", so Frankenberg.

Den Landesforschungspreis für Grundlagenforschung hat die Psychologin Prof. Dr. Herta Flor vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim erhal-ten. Sie erforscht den Zusammenhang zwischen Gehirn und Psyche. Wie beeinflussen Vorgänge oder Veränderungen im Gehirn das menschliche Erleben und Verhalten? Wandelt sich zum Beispiel das Schmerzempfinden eines Menschen, wenn das Gehirn über bestimmte Reize stimuliert wird? Der Frage, wie Menschen ihr Gehirn selbst so beeinflussen können, dass sich beispielsweise ihr Schmerzempfinden positiv verändert, ist Herta Flor in ihren wissenschaftlichen Untersuchungen wiederholt nachgegangen. "Das Gehirn - und das ist es, was mich am meisten fasziniert - ist kein starres Gebilde, sondern durch äußere Einflüsse plastisch formbar, und das sogar bis ins hohe Alter", erklärte die Preisträgerin.

Den Landesforschungspreis für angewandte Forschung erhielt der Wirtschaftsethiker Prof. Dr. Josef Wieland von der Fachhochschule Konstanz. Er zeigt auf, dass in Unternehmen und Organisationen neben wirtschaftlichem Erfolg auch moralisches Engagement eine Bedingung nachhaltiger Unternehmensentwicklung ist, und beschreibt unter anderem, mit welchen konkreten Maßnahmen ein ethischer Wandel in Unternehmen gefördert werden kann. "Wirtschaftsskandale zeigen, dass es nicht reicht, sich auf formale Kontrollsysteme zu verlassen. Vielmehr müssen informale Steuerungsmechanismen wie Werte und Moral integriert werden", erläuterte Josef Wieland. Aber wie sollen diese Steuerungsmechanismen angelegt sein, und wer setzt sie um? Auf diese Fragen gibt Prof. Wieland, der sich mit dem anwendungsorientierten Aspekt von Ethik befasst, mit seinem Wertemanagementsystem eine Antwort. Das von ihm entwickelte Instrument dient zur Prävention von Wirtschaftskriminalität, mobilisiert Werte in Unternehmen und unterstützt global tätige Konzerne bei der Entwicklung ihrer Unternehmenskultur. Die Größe der Firmen spielt dabei keine Rolle. "Die Auszeichnung von Josef Wieland zeigt zugleich die Bedeutung der Fachhochschulen in Baden-Württemberg bei der Umsetzung hervorragender Forschung in konkrete wirtschaftliche Erfolge", betonte Wissenschaftsminister Frankenberg. Mit dem Preisgeld von je 100.000 Euro bietet sich den Forschern die Möglichkeit, ihre wissenschaftlichen Vorhaben weiter voranzutreiben bzw. neue Perspektiven und Handlungsspielräume zu eröffnen. "Die Bedeutung eines Preises hängt wesentlich davon ab, nach welchen Kriterien er vergeben wird. Beim Landesforschungspreis Baden-Württemberg sind die Maßstäbe sehr hoch", so Frankenberg. Vorgeschlagen werden können die Arbeiten von den Universitäten, Fachhochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen, wissenschaftlichen Organisationen sowie den Mitgliedern des Auswahlausschusses. Aus welchen Fachrichtungen die Bewerber kommen, spielt dabei keine Rolle. Die Entscheidung über die Preisvergabe trifft eine unabhängige Jury aus 14 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.

Weitere Informationen zum Landesforschungspreis finden Sie unter http://www.mwk.baden-wuerttemberg.de/.

Weitere Informationen zur Pressemitteilung Nr. 53/2005

Mit Training gegen Schmerzen und posttraumatische Belastungsstörungen:
Unsere Hirn-Hardware - veränderbar bis ins hohe Alter


Das menschliche Gehirn ist das komplexeste Organ des Menschen. Es ist die Schalt- und Steuerzentrale unseres Körpers. Hier laufen sämtliche Reizinformationen aus Organismus und Umwelt zusammen und werden zu Reaktionen verarbeitet. Ein aktiveres Organ gibt es nicht. Dabei ist die 'Hardware' Gehirn durchaus veränderbar. Die Psychologin Prof. Dr. Herta Flor hat herausgefunden, dass der menschliche Denkapparat sogar bis ins hohe Alter formbar ist und sich vor allem gezielt trainieren lässt. Am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim untersucht die Forscherin den Zusammenhang zwischen Gehirn und Psyche. Wie beeinflussen Vorgänge oder Veränderungen im Gehirn das menschliche Erleben und Verhalten? Wandelt sich zum Beispiel das Schmerzempfinden eines Menschen, wenn das Gehirn über bestimmte Reize stimuliert wird? Es ist genau diese Konstellation aus Hirnforschung, Verhaltensforschung und Psychologie, die Herta Flor seit Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere fasziniert, weil darin ein enormes Potenzial an neuen Heilungsmethoden steckt. Für ihre Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Schmerz- und Gehirnforschung hat die Psychologin jetzt den Landesforschungspreis 2004 erhalten.

Wo tut es weh?

Lange Zeit stand die Medizin hilflos vor dem hochkomplexen Phänomen des Schmerzempfindens. Denn Schmerz lässt sich nur sehr schwer messen, da jeder Mensch Schmerzen anders wahrnimmt. Nach der Annahme, wonach jedes Symptom 1:1 auf körperliche Ursachen zurückzuführen sei, lautete das Urteil vieler Ärzte lange Zeit schlicht: Je schlimmer die Schädigung, desto stärker der Schmerz. Doch das trifft allenfalls für akute Schmerzen zu. Nicht berücksichtigt sind in dieser Rechnung Patienten, die über chronische Schmerzen klagen oder darüber, dass es ihnen in Körperteilen weh tut, die gar nicht mehr da sind. Auch Herta Flor wollte sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden geben: "Wenn nach einer Amputation das fehlende Glied plötzlich anfängt, stechend zu hämmern, muss hinter dem Phantomschmerz etwas anderes stecken, als ein einfaches Reizreaktionsschema. Ich war mir sicher: Wenn der amputierte Arm Schmerzimpulse meldet, kann es keine körperliche Ursache für den Schmerz geben, dann spielt sich der Reiz vielmehr im Gehirn ab. Und diesem im Kopf plötzlich entstehenden Phantombild wollte ich auf den Grund gehen."

Den Schmerz sichtbar machen

Entscheidende Impulse erhielt Prof. Flor von der 'Tübinger Schule' der Psychologie, die bereits in den 60er- und 70er-Jahren die Selbstregulationskräfte des Gehirns untersuchte. Bio- oder Neurofeedback heißt der Zweig der Neurowissenschaft, der mit Hilfe von computergestützten Messungen die unbewusst ablaufenden Bio- und Nervensignale unseres Körpers registriert. Grafisch oder akustisch aufgezeichnet, tauchen die Signale aus den tieferen Schichten unseres Bewusstseins auf und gelangen in einen Bereich, der über unseren Willen steuerbar ist. Über einen Monitor kann der Patient seine Schmerzsignale genau verfolgen und über gezielte Trainingsmethoden willentlich kontrollieren. Schmerz ließe sich auf diese Weise ganz einfach wegtrainieren. Wie Menschen ihr Gehirn selbst so beeinflussen können, dass sich beispielsweise ihr Schmerzempfinden positiv verändert, diese Frage hat die Psychologin und Schmerzforscherin Herta Flor in ihren wissenschaftlichen Untersuchungen immer wieder verfolgt. "Das Gehirn - und das ist es, was mich am meisten fasziniert - ist kein starres Gebilde, sondern durch äußere Einflüsse plastisch formbar und das sogar bis ins hohe Alter." Plastizität sagen Mediziner zu diesen Umbauprozessen in der Architektur der Hirnrinde. Über bildgebende Verfahren wie die funktionelle Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) konnte die Psychologin beispielsweise nachweisen, dass sich nach einer Amputation die Repräsentation eines Körperteils im Gehirn verändert. Für diese lokale Verschiebung im Gehirn ist die Großhirnrinde verantwortlich. Hier, in der so genannten Tastrinde, kommen die Nervenimpulse der gesamten Körperoberfläche an. Dabei ist für jedes Körperteil ein eigenes Gehirnareal zuständig. Denn im Gehirn ist der ganze Körper des Menschen noch einmal im Miniaturformat gespiegelt; im Fachjargon sprechen die Mediziner vom Homunkulus, lateinisch 'kleiner Mensch'. "Man muss sich die schmerzverarbeitenden Teile des menschlichen Gehirns wie eine Landkarte von unserem Körper vorstellen", erklärt die Expertin Herta Flor, "nur dass die Körperkontinente spiegelverkehrt angeordnet sind: Signale aus der linken Körperhälfte werden in der rechten Hirnhälfte verarbeitet, Nervenimpulse von rechts kommen im Gehirn links an." Das verkleinerte Spiegelbild Mensch entspricht aber nicht der tatsächlichen Anatomie, sondern der menschlichen Sinneswahrnehmung. Hochempfindliche Körperteile wie Mund oder Fingerspitzen, die mehr Nervenimpulse empfangen, nehmen in der Körperkarte des Gehirns auch ungleich mehr Platz ein als beispielsweise Rücken oder Oberarm.

Chaos im Gehirn

Durch Verletzungen oder äußere Stimulation verändert sich die Körperkarte des Gehirns. Bislang kleine Hirnareale können unter starker und lang anhaltender Schmerzeinwirkung beispielsweise überdimensional anschwellen oder sich in benachbarte Regionen verlagern. Wird einem Patienten nach einem Unfall der Arm abgenommen, organisieren sich die reizverarbeitenden Areale aufgrund der Plastizität des menschlichen Gehirns neu. Die Hirnregion, die im Normalfall Nervenimpulse vom Arm empfängt, verschiebt sich zum Beispiel in das benachbarte Areal des Mundes. "Die über Jahre gelernte Verbindung Arm zu Gehirn bleibt auch nach der Amputation bestehen. Ist der Arm weg, empfängt das dafür zuständige Gehirnareal auch weiterhin Impulse, nun aber aus der Nachbarschaft. Die Signale werden jedoch nach wie vor anscheinend in dem Körperteil wahrgenommen, das ursprünglich mit dem Gehirnareal verbunden war, also im amputierten Arm", erklärt Prof. Flor das Phänomen der Phantomschmerzen. Auch bei Patienten, die beispielsweise unter chronischen Gesichtsschmerzen (Trigeminus-Neuralgie) leiden, hat sich die Hirnregion unter den anhaltenden Schmerzen so vergrößert und mit Nervenzellen verdichtet, dass schon kleine Berührungen ausreichen, um ein erneutes Schmerzgewitter auszulösen. Das Gehirn verändert sich aber nicht nur durch Schmerzen und Verletzungen, sondern auch - und das ist für neue Therapieformen ganz entscheidend - durch Lernprozesse und Stimulation. "Wir konnten beispielsweise feststellen, dass bei Schlaganfall-Patienten durch ein gezieltes Armtraining neue Areale des Gehirns aktiviert werden können."

Eine gemeinsame Sprache finden

Aus diesen Beobachtungen schloss die Psychologin und Verhaltenstherapeutin Herta Flor, dass die physiologische Karte des Gehirns über Trainingsmethoden gezielt verändert werden kann. Krankhaft vergrößerte Gehirnpartien, die Schmerz auslösen, weil in ihnen ein dichtes Netzwerk aus Nervenzellen aktiv ist, können aber durch Lernprozesse wieder reorganisiert werden. Das öffnet die Tür zu einer ganz neuen Form der Zusammenarbeit zwischen Psychotherapie, Neurowissenschaft und Molekularbiologie. "Wir müssen die genetischen, molekularbiologischen, neurowissenschaftlichen Grundlagen kennen, um das Phänomen der Veränderbarkeit und Trainierbarkeit des Gehirns auch wirklich zu verstehen", beschreibt Herta Flor die Notwendigkeit einer neuen gemeinsamen Sprache zwischen den Disziplinen. "In solchen fächerübergreifenden Kompetenznetzwerken liegt ein immenses Potenzial zur Behandlung von Schmerzen, Angststörungen oder Depressionen."

Ordnung schaffen durch Training

Selbst nach einem Schlaganfall besteht durch intensive Lernmethoden die Chance, ausgefallene Körperfunktionen wieder zu mobilisieren. Das kann zum Beispiel dadurch passieren, dass der gesunde Arm in einer Schlinge lahm gelegt wird, während der eigentlich nicht mehr funktionsfähige Arm gezwungen wird, sich zu bewegen. "Das Interessante an unseren Forschungsergebnissen war, dass sich sogar bei hochbetagten Schlaganfallpatienten, bei denen der Schlaganfall schon Jahre zurückliegt, das Gehirn noch trainieren lässt", erzählt Herta Flor von den Versuchen mit dieser Patientengruppe. "Wir konnten beispielsweise zeigen, dass nach der Trainingsphase die Aktivität der ausgefallenen Hirnregion in die andere Hirnhälfte hinüberwandert. Hier werden plötzlich Nervenbahnen aktiviert, die das eigentlich abgestorbene Gehirnareal kompensieren." Therapeutisch müssen dabei Teile der Hirn-Hardware neu programmiert werden, um über Jahre erlernte Muster wieder wegzutrainieren, das heißt zu 'verlernen'. Bei chronischen Erkrankungen wie chronisch störenden Ohrgeräusche (Tinnitus) wird beispielsweise versucht, das von den Nervenzellen entwickelte Gedächtnis über Trainingsverfahren wieder vergessen zu machen. Für die moderne Gehirnforschung sind diese Erkenntnisse revolutionär: Denn es sind nicht allein Psychopharmaka und Pillen, die uns wieder auf die Füße helfen, entscheidend ist in erster Linie unser Lern- und Trainingswille.

 

 5.4.05 Depression verdoppelt Herzinfarktrisiko

Der Wissenschaftsdienst idw-online berichtet:

Mannheim, Sonntag, 3. März 2005 - Depressionen sind nicht nur deshalb potenziell lebensbedrohliche Erkrankungen, weil bis zu 15 Prozent der Menschen mit einer schweren Depression durch Suizid versterben. Sie erhöhen auch das Herz-Kreislauf-Risiko deutlich, berichtete bei der Jahrestagung der Deutschen Kardiologengesellschaft in Mannheim Dr. Florian Lederbogen. "Für die Kardiologie ist bedeutsam, dass die Depression als unabhängiger kardialer Risikofaktor gelten kann", so der Mannheimer Herzspezialist. Studien unter Berücksichtigung der klassischen Risikofaktoren hätten ergeben, dass depressive Syndrome eine Verdoppelung des Risikos bewirkten, im späteren Verlauf an einer Koronaren Herzkrankheit zu erkranken oder zu versterben. Dr. Lederbogen: "Die depressionsbedingte Zunahme des Risikos ist vergleichbar der durch andere, klassische Risikofaktoren bedingten Gefährdung."

Die Depression ist eine häufige Erkrankung: Im Zeitraum eines Jahres leiden vier Prozent aller erwachsenen Personen an einer ausgeprägten Depression. Auf die Lebenszeit gesehen liegt die Häufigkeit bei fünf bis zwölf Prozent für Männer und zehn bis 25 Prozent für Frauen.

Experte: Depressive haben erhöhten Blutzucker-Spiegel

Zwar sind die Ursachen für die Erhöhung des kardialen Risikos durch Depressionen im Detail noch nicht geklärt, doch Wissenschafter entdecken immer mehr Zusammenhänge. So lässt sich etwa ein erhöhter Insulinspiegel - mit einer der wesentlichen kardialen Risikofaktoren - auch bei Depressions-Patienten besonders oft nachweisen. "Depressive erreichen nach einer standardisierten Testmahlzeit deutlich höhere Insulinkonzentrationen als geunde Kontrollpersonen", sagt Dr. Lederbogen. "Möglicherweise ist die bei vielen Patienten mit einer Depression nachweisbare Überaktivität des Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Systems mit den daraus resultierenden höheren Serumkortisolkonzentrationen an diesem Effekt beteiligt."

Bei depressiven Frauen mit erhöhtem Serumkortisol haben Wissenschafter auch eine vermehrte Ausbildung von Bauchfett nachgewiesen. "Dafür könnte die für die Depression charakteristische endokrine Dysbalance - ein Überwiegen der fettakkumulierenden Hormone Kortisol und Insulin gegenüber den fettmobilisierenden Hormonen Testosteron und Wachstumshormon - verantwortlich sein", vermutet Dr. Lederbogen.

Depression und körperliche Risikofaktoren verstärken einander

Epidemiologische Studien belegen, dass depressive Symptome einen unabhängigen Risikofaktor darstellen, im Laufe der nächsten Jahre an einzelnen Komponenten des so genannten metabolischen Syndroms - Übergewicht, Bluthochdruck und Diabetes - zu erkranken.

"Umgekehrt konnte für den Diabetes und die koronare Herzkrankheit gefunden werden, dass das Hinzutreten eines depressiven Syndroms die Prognose dieser organischen Erkrankungen deutlich verschlechtert", weiß der Herzspezialist. "Bei diesem Zusammenspiel sind sicherlich Depressions-assoziierte Verhaltensfaktoren wie geringeres Aktivitätsniveau, häufigeres Rauchen oder das Nichteinhalten von Diätempfehlungen mitbeteiligt", so Dr. Lederbogen, "können aber nicht die Gesamtheit der Risikoerhöhung erklären."

Kontakt:
Prof. Dr. Eckart Fleck, Pressesprecher der DGK (Berlin)
Christiane Limberg, Pressereferentin der DGK (Düsseldorf); Pressezentrum: 0621-41065002
Roland Bettschart, B& K Medien- und Kommunikationsberatung; Pressezentrum 0621-41065352 oder mobil 0043 676 6356775
Weitere Informationen:
http://www.dgk.org
 

 22.3.05 Erste Ergebnisse der 'Heidelberger Schulstudie' mit 5.500 Schülern / Daten zu Alkohol- und Tabakkonsum, Selbstverletzungen und Diät-Erfahrung

Der Wissenschaftdienst idw-online berichtet:

Rund elf Prozent der Jugendlichen im Alter von ca. 14 Jahren fügen sich ein- bis dreimal im Jahr Verletzungen zu; mehr als vier Prozent tun dies sogar viermal im Jahr. Mädchen sind doppelt so häufig betroffen wie Jungen. Selbstverletzungen sind häufig verbunden mit Depression und sozialer Isolation.

Dies sind erste Ergebnisse der 'Heidelberger Schulstudie', die heute bei einer Pressekonferenz zum 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik & Psychotherapie in Heidelberg vom 16. bis 19. März 2005 vorgestellt wurden. Rund 1.200 Teilnehmer aus den Fachgebieten Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie diskutieren derzeit die neusten Entwicklungen in der Erforschung, Diagnostik und Behandlung psychischer Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen.

Die vorläufigen Auswertungen der 'Heidelberger Schulstudie' beruhen auf einer Befragung von Schülern und Schülerinnen der 9. Klassenstufe (ca. 13 bis 15 Jahre alt) aller Förder-, Haupt-, Realschulen und Gymnasien im Rhein-Neckar-Kreis von September 2004 bis Januar 2005. Die Studie wurde durchgeführt von der Universitätsklinik für Kinder und Jugendpsychiatrie unter der Leitung des Ärztlichen Direktors Professor Dr. Franz Resch, gemeinsam mit dem Heidelberger Gesundheitsamt und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.

Im Rahmen von Schüler-, Eltern-, und Lehrerbefragungen wurden aktuelle Informationen zur Lebenssituation der Schüler, zur Schul- und Hausaufgabensituation, zu psychischen Belastungen und Auffälligkeiten, zur Familien- und Wohnsituation, zu Medikamentengebrauch und -missbrauch, Drogen und Risikoverhalten, zu Sorgen und Belastungen der Schüler und zu familiären Belastungen erhoben.

"Eine vergleichbare Studie zu Risikoverhalten von 14jährigen Schülern liegt im Moment in Deutschland nicht vor", erklärte Professor Resch. Die Ergebnisse sollen mit früheren Studien verglichen werden, um einen Aufschluss über die Entwicklung von Risikoverhalten zu erhalten, das eng mit der Entwicklung psychischer Erkrankungen verbunden ist.

Die Schüler und Schülerinnen wurden im Klassenverband befragt. Eltern und Lehrer erhielten Fragebögen, die an das Gesundheitsamt weitergeleitet wurden. Alle Befragungen erfolgten anonym und auf freiwilliger Basis.

Von 121 angesprochenen Schulen nahmen 116 teil. Die umfangreichen Daten werden derzeit ausgewertet. In den 116 Schulen (Förder-, Haupt-, Real-, Gesamtschulen und Gymnasien) wurden insgesamt ca. 6.100 Schülerfragebögen verteilt; ca. 5.500 Fragebögen wurden weitgehend vollständig ausgefüllt abgegeben. Damit liegen auswertbare Daten von ca. 90 Prozent der angesprochenen Schüler vor.

Weitere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Risikoverhalten wahrscheinlich zugenommen hat: Nur 30 Prozent der befragten Schüler gaben an, noch nie Alkohol getrunken zu haben; mehr als die Hälfte trinkt gelegentlich Alkohol, 1,8 Prozent täglich. Rund 63 Prozent hatten noch nie geraucht, 17 Prozent rauchten täglich und der Rest eher selten. Hier besteht ein Zusammenhang mit dem Konsum von Haschisch und Marihuana.

Die Auswertungen zum Thema "Diät und Übergewicht" zeigen: Knapp die Hälfte aller Mädchen (ca. 47 Prozent) empfindet sich als zu dick; bei den Jungen sind dies nur ca. 23 Prozent. Mehr als die Hälfte der Mädchen (ca. 56 Prozent) hat bereits Erfahrungen mit einer Diät, ca. 25 Prozent haben schon mehrfach Diäten gemacht, um abzunehmen. Bei Jungen sind Erfahrungen mit Diäten deutlich geringer (23 Prozent mindestens einmal, 7 Prozent mehrfach).

Im Gegensatz zu diesen subjektiven Einschätzungen kommt tatsächliches Übergewicht bei den Jungen mit 13,5 Prozent etwas häufiger vor als bei Mädchen, die nur zu ca. 11 Prozent auch objektiv übergewichtig sind.

"Die Ergebnisse sind noch als vorläufig zu betrachten, da die Daten noch auf Fehler und Unstimmigkeiten überprüft werden müssen", erklärt Professor Resch. Dennoch lassen sich erste klare Trends und Befunde abschätzen. "Die Ergebnisse werden uns wichtige Aufschlüsse über das Umfeld geben, in dem sich Risikoverhalten und damit psychische Störungen entwickeln." Mitunter würde das recht häufige Verhalten als normal oder gar schick und nachahmenswert empfunden, was jedoch an der Behandlungsbedürftigkeit nichts ändere. Weitere Auswertungen der Studie werden in diesem Jahr veröffentlicht.

Weitere Informationen:
http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/index.php?id=15 - Pressemitteilung online
 

 17.3.05 Bulimische Symptome: Alarmierende Ergebnisse einer Studie bei SchülerInnen der 10. Klasse

Der idw berichtete am 15.3.05:

Am Montag, dem 21. März 2005, 14.30 Uhr, stellt die Medizinerin Mareke Arends in der Bibliothek des Zentrums für Psychiatrie, Psychotherapie und Medizinische Psychologie der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Julius-Kühn-Straße 7, 06112 Halle (Saale) eine Untersuchung unter halleschen Zehntklässlern zum Problem Bulimie vor und verteidigt damit ihre Promotionsarbeit.

Jedes zehnte Mädchen und jeder 50. Junge der Klassenstufe 10 zeigt in Halle bulimische Verhaltens- und Denkweisen (durchschnittlich 6,4 Prozent): "Diese Ergebnisse sind alarmierend", fasst Mareke Arends ihre Untersuchungen unter mehr als 2300 Schülern in der Saalestadt zusammen. Die Medizinerin hatte die Jugendlichen im Rahmen einer Promotion an der Universitätsklinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle befragt. Studien in anderen Städten zeigen ähnliche Ergebnisse. Überraschend sei, dass viele junge Schüler und Schülerinnen (15 und 16 Jahre alt) bereits eine bulimische Symptomatik oder auch bulimische Denkstrukturen aufweisen. Normalerweise liegt das Durchschnittsalter der Ersterkrankungen um zwei bis drei Jahre höher. Der durchschnittliche Body-Mass-Index (BMI) lag bei etwa 21. Bei einem BMI zwischen 18,5 und 25 gelten Menschen als normalgewichtig.

Knapp fünf Prozent aller Frauen im Alter von 14 bis 35 Jahren leiden unter Anorexie (Magersucht) und Bulimie (Ess-Brech-Sucht). Diese beiden Formen der Essstörungen betreffen zu mehr als 90 Prozent Frauen. Neuere Untersuchungen lassen aber erkennen, dass die Zahl der männlichen Betroffenen zunimmt. "Von vorher fünf Prozent sind jetzt schon zehn Prozent der Betroffenen männlich", sagt die Ärztin, die am 21. März in Halle ihre Promotion verteidigen wird. Dass deutlich mehr Frauen unter Essstörungen leiden, liege am Druck des "Schönseins", unter den sich viele setzen würden. Gerade in der Pubertät bekommen Mädchen eine "weiblichere" Form, welche nicht immer mit ihren Idealvorstellungen harmoniert. "So wird früh mit Diäten begonnen und diese stellen einen Risikofaktor für die Entwicklung von Essstörungen dar."

Eine weitere Studie, durchgeführt im gleichen Zusammenhang von Dr. Barbara Dreyer, ergab in der untersuchten Schülergruppe, dass etwa 1,4 Prozent der Schülerinnen unter Anorexia nervosa litten bzw. das Risiko trugen, an einer anorektischen Essstörung zu erkranken. Andere Untersuchungen schätzen die Häufigkeit auf zwischen 0,1 bis ein Prozent ein. Laut Meinung von Experten trägt jede/r siebte Jugendliche ein Magersucht-Risiko.

Essstörungen sind psychische Erkrankungen mit schwer wiegenden negativen Folgen für den gesamten Körper. Problematisch sei, so Mareke Arends, dass für die Betroffenen nicht genügend Therapieplätze zur Verfügung stehen und diese Erkrankungen häufig nicht von Allgemeinmedizinern diagnostiziert würden. Sie sieht bei Eltern und Schulen Handlungsbedarf. In den Schulen sollte es einen "Aufklärungsunterricht" geben, sinnvoll sei die Verfügbarkeit eines Schulpsychologen.

Die Studie fand auf Grundlage einer Rahmenvereinbarung zwischen Universität und der Stadt Halle in Kooperation der Universitätsklinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik und mit dem Jugendärztlichen Dienst des Gesundheitsamtes Halle an den Gymnasien und Sekundarschulen unter Schülern der 10. Klassen statt. Im Rahmen der vorgeschriebenen Reihenuntersuchung der 10. Klasse wurde der entsprechende Fragebogen verteilt. Die Schüler wurden unter anderem nach Essverhalten an Hand des so genannten Selbstbeurteilungsbogen "Eating Disorder Inventory" (EDI), Schulform etc. befragt. Größe und Gewicht wurde von medizinischem Personal festgestellt.

Die so genannte Ess-Brech-Sucht wird durch wiederholtes Auftreten von Fress- oder Heißhungerattacken charakterisiert. Die Häufigkeit dieser Essanfälle, bei denen größere Nahrungsmengen mit hohem Energiegehalt verzehrt werden, reicht von einmal in der Woche bis mehrmals täglich. Das Essverhalten der Bulimiekranken zeichnet sich durch unkontrollierbare, episodische Anfälle stark gezügelten Essverhaltens, regelmäßiges und absichtlich herbeigeführtes Erbrechen nach einer Essattacke und krankhafter Angst vor dem Dicksein aus. Einige Betroffene treiben übermäßigen Sport und nehmen Abführ- und Entwässerungsmittel, um ihr Gewicht zu halten. Bulimiker fallen meist lange nicht auf, da sie normal- oder gar übergewichtig sind. Die Patienten leiden unter ihrer Krankheit.

Von der Bulimie sind hauptsächlich Frauen betroffen. Die Häufigkeit der Erkrankung ist allerdings nur schwer zu ermitteln. Verschiedene Untersuchungen sprechen von einer Rate zwischen einem und acht Prozent. Die Bulimie kann schwer wiegende körperliche Schäden nach sich ziehen:
- Entzündungen der Speiseröhre und Speicheldrüse
- Mineralstoffmangel durch vermehrten Verlust über die Ausscheidung der Magensäure
- Zahnschäden durch Übersäuerung im Mundraum
- Magengeschwüre durch starkes Beanspruchen des Magens
- Herzrhythmusstörungen

Die Gründe für das Entstehen einer Essstörung sind vielfältig und spielen oft zusammen. Es spielen etwa genetische, soziokulturelle oder psychische Gründe eine Rolle, ebenso die Zugehörigkeit zu bestimmten Risikogruppen (Sportler, Gymnasiasten, Studenten und Ballettschüler).
 
zum Seitenanfang
©LPK-BW     —> http://www.lpk-bw.de