07.10.09 Psychotherapeutengesetz reformbedürftig
BPtK-Symposium am 22./23. September 2009 in Hannover
(BPtK) Das Psychotherapeutengesetz ist zehn Jahre nach seinem Inkrafttreten reformbedürftig. Das ist das Ergebnis eines zweitägigen Symposiums "Zukunft der Psychotherapieausbildung - Eckpunkte einer Reform" am 22./23. September in Hannover, an dem über 100 Vertreter aus den Landespsychotherapeutenkammern, Berufs- und Fachverbänden sowie Ausbildungsstätten und Psychotherapeuten in Ausbildung (PiA) teilnahmen.

Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), begründete diesen Reformbedarf insbesondere mit der "miserablen" finanziellen Vergütung der praktischen Tätigkeit und der Notwendigkeit, für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten einen Masterabschluss als Zugangsvoraussetzung zur Psychotherapeutenausbildung zu sichern. Der BPtK-Vorstand stelle auf dem Symposium seine "Perspektiven der Psychotherapieausbildung" vor, um in der Profession einen möglichst breiten Konsens über die einzelnen Reformpunkte zu erzielen. Dieser sei notwendig, um in der neuen Legislaturperiode des Deutschen Bundestages eine Reform des Psychotherapeutengesetzes erfolgreich anzustoßen.

Praktische Tätigkeit

Prof. Dr. Lutz Goldbeck (Universität Ulm) stellte die Ergebnisse des Forschungsgutachtens "Zukunft der Ausbildung von Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten" zur praktischen Tätigkeit (PT) vor, das im Mai 2009 fertiggestellt und dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) übergeben worden war. Als Mitglied des Forschergremiums, welches das Gutachten erarbeitete, zog Goldbeck folgendes Fazit: Die praktische Tätigkeit in der Psychotherapieausbildung sei als zentraler Baustein der Ausbildung weitgehend unbestritten. Sie sei notwendig, um Psychotherapeuten für eine multiprofessionelle und multimodale Behandlung in zunehmend vernetzten Versorgungsstrukturen zu qualifizieren. Derzeit beständen jedoch deutliche Qualitätsprobleme: Ausbildungsvergütung mangelhaft

Insbesondere die Vergütung der praktischen Tätigkeit sei mangelhaft. Nach Angaben der Absolventen betrug die monatliche Vergütung während der "Praktischen Tätigkeit I" ("Psychiatriejahr"):

Monatliches Bruttoeinkommen Anteil der PiA in %
0
36,8
bis 500
10,4
bis 1.000
14,6
bis 1.500
8,3
bis 2.000
3,2
bis 2.500
3,6
Tabelle: monatliche Vergütung während der "Praktischen Tätigkeit I" ("Psychiatriejahr")


Vor diesem Hintergrund mahnten die Ausbildungsinstitute eine Reform der praktischen Tätigkeit an. Christine Röpke (BAG/KJP-Ausbildungsinstitute) bezeichnete die praktische Tätigkeit als "prominentes Sorgenkind" der Ausbildung von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (KJP), aber auch von Psychologischen Psychotherapeuten (PP). Sorgenkinder seien oft die "Indexpatienten" eines aus dem Gleichgewicht geratenen Systems. Sie erzeugten den nötigen Leidensdruck, den träge Systeme für Veränderungen benötigten. Die Ausbildung sollte aus ihrer Sicht künftig weniger auf die ambulante Versorgung fokussieren, sondern sich stärker für alle Bereiche - in psychiatrischen, psychosomatischen und psychosozialen Einrichtungen - öffnen, in denen Kinder mit psychischen Störungen und ihre Eltern versorgt würden. Bundesweit verbindliche curriculare Vorgaben sollten künftig sicherstellen, dass PiA ein breites Spektrum psychischer Störungen in unterschiedlichen Versorgungssettings kennenlernen, einschließlich der Prävention und Rehabilitation. Als Akademiker sollten PiA ihr Wissen unter verantwortungsvoller Anleitung im klinischen Berufsalltag innerhalb von multiprofessionellen Teams anwenden und erweitern können. Teamfähigkeit, Vernetzungskompetenz und die Fähigkeit zur multiprofessionellen Zusammenarbeit seien hervorzuhebende Kompetenzen, die während der praktischen Tätigkeit zu erwerben seien.

Dr. Walter Ströhm (BAG/PP-Ausbildungsinstitute) kritisierte die Ausbildungsvergütung als "Katastrophe". Sie sei der im Gutachten am schlechtesten bewertete Aspekt der Ausbildung. Die Vergütung werde damit zum Dreh- und Angelpunkt von Veränderungen der Psychotherapieausbildung. Er stellte verschiedene Vergütungsmodelle vor und sprach sich für eine Variante aus, nach der den Ausbildungsteilnehmern während der gesamten Ausbildungsdauer von drei Jahren ca. 900 Euro im Monat ausgezahlt werden könnten, wenn die während der praktischen Ausbildung von PiA erzielten Vergütungen für Krankenbehandlungen zur Finanzierung verwendet würden. Um 900 Euro monatlich erreichen zu können, müsste allerdings - konstante ökonomische Rahmenbedingen für die Institute unterstellt - die praktische Tätigkeit verkürzt und die praktische Ausbildung verlängert werden.

PiA fordern angemessene Vergütung

Weitreichende Reformen forderte Jürgen Tripp, Sprecher der PiA-Bundeskonferenz der BPtK. Das Gutachten habe die große Diskrepanz zwischen den rechtlichen Vorgaben und der Realität der praktischen Tätigkeit eindrücklich belegt. Die gesetzlichen Vorgaben verlangten, dass Ausbildungsteilnehmer eineinhalb Jahre bei der Versorgung jener psychischen Erkrankungen zusehen, die Psychotherapeuten nach erfolgreicher Ausbildung gar nicht behandeln sollen. Danach ginge es de jure also nur um "hospitierende" oder "kennenlernende" Tätigkeit. Faktisch seien die Ausbildungsteilnehmer aktiv in die Versorgung eingebunden, wenn auch häufig ohne die nötige Anleitung und Supervision. In vielen Kliniken seien Ausbildungsteilnehmer die "Lückenbüßer" für gestrichene Planstellen für PP und KJP. Nach dem Motto "keine Klinik, keine Ausbildung" seien viele PiA gezwungen, un- oder unterbezahlte Stellen anzunehmen.

Tripp forderte eine angemessene Vergütung, die wahrscheinlich die Erteilung einer Berufsausübungserlaubnis voraussetze. Viele Qualifikationen, die für die Erteilung einer solchen Berufsausübungserlaubnis notwendig seien, würden schon heute an den Hochschulen erworben, was fehle, sei ein entsprechend klassifiziertes "klinisches" Praktikum. Für die praktische Tätigkeit wünschten sich die Psychotherapeuten in Ausbildung außerdem einen gestuften Zuwachs an Eigenverantwortung und praktischen Fähigkeiten auf der Basis eines klar definierten Aufgabenspektrums.

BAföG ungeeignet

Dr. Dietrich Munz stellte dar, welche Reformoptionen sich aus Sicht des BPtK-Vorstands ergeben. Er machte deutlich, dass staatliche Instrumente der Ausbildungsförderung, wie das BAföG, ungeeignet seien, die finanzielle Situation von Ausbildungsteilnehmern zu verbessern. Das BAföG sei in der Höhe nicht angemessen und müsse, weil als Darlehen finanziert, zudem zu einem späteren Zeitpunkt wieder zurückgezahlt werden.

Für die Ausbildung sei unter Qualitätsgesichtspunkten generell zu fordern, dass Ausbildungsteilnehmer an der Versorgung teilnehmen. Dazu müssten versorgungsrelevante Kenntnisse bereits im Studium erworben und dokumentiert werden. Könnten diese Qualifikationen formal nachgewiesen werden, z. B. in Form einer Berufsausübungserlaubnis, sei ein bundesweit geregelter, gesetzlich fixierter Vergütungsanspruch möglich. Im Perspektivenpapier des BPtK-Vorstands werde deshalb vorgeschlagen, die qualitativ, inhaltlich und damit auch vergütungsrechtlich klar definierten praktischen Elemente der Psychotherapeutenausbildung konsequenterweise nicht mehr als "Praktische Tätigkeit" zu bezeichnen, sondern als "Praktische Ausbildung", in der Ausbildungsteilnehmer in ambulanten und stationären Versorgungssettings arbeiteten.

Eingeschränkte Berufsausübungserlaubnis

Johannes Schopohl, juristischer Referent der BPtK, erläuterte den Vorschlag des BPtK-Vorstands, Ausbildungsteilnehmern mit Beginn der Ausbildung eine eingeschränkte Berufsausübungserlaubnis zu erteilen. Eine solche Erlaubnis würde den Einwand ausräumen, Ausbildungsteilnehmer dürften während der praktischen Tätigkeit nicht behandeln und hätten daher auch grundsätzlich keinen Anspruch auf eine Vergütung. Zudem würden damit die bestehenden Rechtsunsicherheiten und Haftungsprobleme in Bezug auf heilkundliche Tätigkeiten von Ausbildungsteilnehmern behoben. Voraussetzung der Erteilung einer eingeschränkten Berufsausübungserlaubnis sei die Definition der dafür notwendigen, während des Studiums zu erwerbenden Kompetenzen, z. B. im Rahmen eines klinischen Praktikums. Die anschließende Diskussion zeigte einen breiten Konsens, dass eine Vergütung der praktischen Tätigkeit in der Psychotherapieausbildung gesichert und ihre Qualität durch klare und angemessene curriculare Vorgaben gesteigert werden muss. Vor allem Ausbildungsteilnehmer und angestellte Psychotherapeuten traten dafür ein, dass die Ausbildung künftig für die Arbeit in verschiedenen Tätigkeitsfeldern qualifizieren solle.

Die Symposiumsteilnehmer diskutierten intensiv, welche strukturellen und rechtlichen Veränderungen dafür notwendig sind. Viele hielten die Einführung einer eingeschränkten Berufsausübungsbefugnis für die entscheidende rechtliche Norm, ohne die insbesondere eine ausreichende Vergütung der praktischen Tätigkeit nicht zu sichern sei. Andere Teilnehmer bezweifelten, dass Ausbildungsteilnehmer nach einem Hochschulstudium bereits über die notwendigen Kompetenzen für eine solche Befugnis verfügen. Dem wurde entgegengehalten, dass Ärzte selbstverständlich davon ausgehen, nach Abschluss eines Medizinstudiums über eine derartige Qualifikation zu verfügen und Patienten eigenständig behandeln zu dürfen. Der BPtK-Vorstand wies darauf hin, dass eine ausreichende Qualifikation der PiA dadurch gesichert werden könne, dass für das Erteilen einer eingeschränkten Berufsausübungserlaubnis Eingangskompetenzen vorgegeben werden. Einige Teilnehmer befürchteten, dass dies zu einer Direktausbildung des Psychotherapeuten mit einer Approbation unmittelbar nach dem Hochschulstudium führen könnte.

KJP-Ausbildung schon jetzt nicht einheitlich

Welche Kompetenzen müssen Psychotherapeuten an einer Hochschule erwerben? Prof. Dr. Ulrike Willutzki (Universität Bochum) stellte dazu die zentralen Befunde des Forschungsgutachtens vor, an dem sie als Mitglied des Forschergremiums beteiligt war. Die europaweite Reform der Hochschulausbildung (Bologna-Prozess) habe bereits jetzt zu einer großen inhaltlichen Heterogenität der Masterabschlüsse in Psychologie und (Sozial-)Pädagogik geführt. Nach dem Wegfall der Rahmenstudienordnungen gebe es schon jetzt keine einheitliche Zulassung zur psychotherapeutischen Ausbildung des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten mit einem (sozial-)pädagogischen Studienabschluss mehr. Acht der 16 Zulassungsbehörden würden heute Bewerber mit einem Bachelorabschluss zulassen. Die anderen acht verlangten dagegen einen Masterabschluss.

Das Gutachten für das BMG habe sich am "Europäischen Qualifikationsrahmen" orientiert und mit Blick auf die dort auf Stufe 7 genannten Kompetenzen bundesweit einen Masterabschluss als Zugangsvoraussetzung empfohlen. Für Masterabschlüsse schlägt das Gutachten vor, die konkreten Kompetenzen, die von Hochschulabsolventen gefordert werden müssten, als Zugangsvoraussetzungen zur Psychotherapieausbildung zu benennen. So sollten Bewerber während des Bachelor- und Masterstudiums zusammen etwa die Hälfte ihrer Studienleistungen in allgemeinen psychologischen und klinisch-psychologischen Bereichen absolvieren. Dadurch blieben ausreichend Spielräume, um z. B. pädagogische Inhalte zu integrieren.

Studieninhalte selbst definieren

In der anschließenden Debatte wurde mehrfach betont, wie wichtig es sei, die Definition der Studieninhalte, die für den Beruf des Psychotherapeuten notwendig sind, nicht der Eigendynamik der europäischen Hochschullandschaft zu überlassen. Die Profession sollte festlegen, welche psychologischen, pädagogischen und sozialwissenschaftlichen Inhalte für die Aufnahme einer Psychotherapieausbildung notwendig seien. Aufgabe und Herausforderung der Hochschulen sei es, die entsprechenden Inhalte während des Studiums zu vermitteln. Einig war man sich auch darin, dass unterschiedliche Studiengänge bzw. -programme für die Aufnahme einer Psychotherapieausbildung qualifizieren sollten.

Kontrovers wurde die Frage diskutiert, welche Inhalte diese Studiengänge vermitteln sollten. Auf der einen Seite wurde gewarnt, dass schon die derzeitigen Qualitätsunterschiede zwischen PP und KJP so gravierend seien, "dass man den Status quo so nicht belassen könne", ohne eine Abwertung des Berufs des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in Kauf zu nehmen. Auf der anderen Seite wurde befürchtet, dass "pädagogische Studiengänge in psychologische umgewandelt" werden müssten.

Dr. Bernhard Prankel, Chefarzt der kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilung des Diakoniekrankenhauses Rotenburg (Wümme), beschrieb Hochschulkompetenzen, die er von PiA für die praktische Tätigkeit in seiner Abteilung erwarte. Neben einem Theoriewissen auf hohem wissenschaftlichem Niveau setze er vor allem erste praktische Erfahrungen voraus. Soweit entsprechende Vorqualifikationen vorhanden seien, würden Ausbildungsteilnehmer auch angemessen für ihre Tätigkeit bezahlt. Er wünsche sich ein "deutlich mehr praxisrelevantes Studieren".

Heilberuf unabhängig vom Studiengang sichern

BPtK-Vorstand Monika Konitzer beschrieb den Stellenwert einer angemessenen akademischen Zugangsqualifikation. An der Hochschule müssten ausreichend Kenntnisse erworben werden, um dem Anspruch einer evidenzbasierten Behandlung in der späteren Berufstätigkeit gerecht werden zu können. Dies setze ausreichende Kenntnisse zu gestörten ebenso wie zu gesunden psychischen Funktionen und Strukturen voraus, über deren biologische und soziale Grundlagen, über soziale Systeme und über die Diagnostik, Störungslehre und Veränderungsmodelle. Einschlägige Inhalte müssten den weitaus überwiegenden Teil des Bachelor- und Masterstudiums ausmachen. Damit seien Absolventen auch hinreichend qualifiziert, um bereits zu Beginn der Psychotherapieausbildung Tätigkeiten in der Versorgung auszuüben, die einen Anspruch auf Vergütung rechtfertigten. Dabei käme es ausschließlich auf die Inhalte an. In welchem Studiengang diese erworben würden, sei künftig irrelevant.

Die abschließende Diskussion zeigte eine große Einmütigkeit bei der Forderung, einen Masterabschluss sowohl für PP als auch für KJP zu sichern. Sollte sich der Bachelor durchsetzen, bestehe die große Gefahr, dass KJP zu einem Heilhilfsberuf degradiert würden.

Ausbildung mit "Common trunk"

Das Forschungsgutachten schlägt einen "Common trunk" für die Psychotherapieausbildung vor. Danach sollen Ausbildungsteilnehmer unabhängig davon, welche Altersgruppen sie später behandeln, Teile der Ausbildung gemeinsam absolvieren und die jeweils altersspezifischen Kompetenzen parallel zu diesem Common trunk oder im Anschluss erwerben. Damit verbunden empfiehlt das Gutachten die gemeinsame Berufsbezeichnung "Psychotherapeut mit Schwerpunkt ...". Spezialisierungen würden durch die Schwerpunktbezeichnung "Kinder und Jugendliche" oder "Erwachsenev deutlich. Die bisherigen Berufsbezeichnungen PP und KJP würden also obsolet.

Den rechtlichen Rahmen einer Ausbildung nach dem Common trunk sowie alternative Ausbildungsstrukturen bewertete Erika Behnsen (MinR‘in a. D.). Sie gehörte vor zehn Jahren zu den für das Psychotherapeutengesetz verantwortlichen Juristen im Bundesgesundheitsministerium. Einleitend erinnerte sie daran, dass es beim Psychotherapeutengesetz darum ging, Psychotherapeuten als eigenständige und den Ärzten gleichgestellte Leistungserbringer durch entsprechende Ergänzungen in das Vertragsarztrecht einzubeziehen. Die damals gefundenen berufs- und sozialrechtlichen Lösungen müssten nach den Veränderungen der Hochschullandschaft heute neu bewertet werden. Eine Anhebung der Zugangsvoraussetzungen für eine Ausbildung zum KJP sei dabei auf der Basis der Erkenntnisse des Forschungsgutachtens grundrechtlich durchaus zulässig.

Direktausbildung - "das schlüssigste Modell"

Als künftigen Weg zur Ausbildung hielt Frau Behnsen eine Direktausbildung für das "schlüssigste Modell". Das Konzept der Direktausbildung impliziere eine Approbation zum "Psychotherapeuten" direkt nach dem Hochschulabschluss. Weitere Qualifikationen könnten danach als Weiterbildung folgen. Behnsen vermutete, dass möglicherweise "mangelnder Mut" dazu geführt habe, dass die Gutachter mit dem Common trunk und Approbationen unterschiedlichen Inhalts eine Struktur empfehlen, die im Vergleich zu anderen Heilberufen "zumindest ungewöhnlich" sei. Vor allem war ihr wenig einsichtig, warum die Psychotherapeuten mit dem Zwei-Berufe-Modell und der Doppelapprobation freiwillig auf Möglichkeiten der Gestaltung des Berufs verzichten und zentrale Entscheidungen dem Bundesgesetzgeber überlassen wollen. Die Approbation sei Bundesrecht, die Gestaltung weiterer Gebietsbezeichnungen dagegen Landesrecht, das mit der Gestaltung von Weiterbildungsordnungen in der Hand der Kammern liegen könne.

Wenn aber eine Direktausbildung mit den Beteiligten nicht umzusetzen sei, wäre nach ihrer Einschätzung das von der BPtK in die Diskussion eingebrachte Modell mit einer Approbation zum Psychotherapeuten das Konsensmodell. Eine Verschmelzung der Berufe des KJP und PP sei - eine entsprechend Übergangsregelung vorausgesetzt - verfassungsrechtlich kein Problem. Behnsen erinnerte daran, dass vor zehn Jahren das Psychotherapeutengesetz möglich wurde, weil sich die Profession auf ein Modell geeinigt hatte. Dies sei aus ihrer Perspektive auch heute die Voraussetzung dafür, dass der Gesetzgeber eine Reform des Psychotherapeutengesetzes in Angriff nehme.

Das Konsensmodell der BPtK

BPtK-Vorstand Peter Lehndorfer erläuterte die Optionen für "ein oder zwei Berufe". Ziel müsse es sein, dass Patienten aller Altersgruppen eine qualitativ hochwertige Behandlung erhielten, was jeweils spezifische Kompetenzen voraussetze. Außerdem müsse die Psychotherapieausbildung für den akademischen Nachwuchs eine attraktive Berufsperspektive bieten. Mit einem systematischen Vergleich der Reformoptionen und ihrer Folgen stellte er das Konsensmodell des BPtK-Vorstands vor. Danach würde es künftig nur noch eine Approbation zum Psychotherapeuten geben, allerdings nicht unmittelbar nach dem Hochschulabschluss, sondern wie bisher nach postgradualer psychotherapeutischer Ausbildung. Absolventen unterschiedlicher Fachrichtungen (Psychologie, Sozialpädagogik, Pädagogik), die im Studium definierte Kompetenzen erwerben, dürften nach bestandener Ausbildung qua Approbation alle Patientengruppen behandeln.

Ein Beruf mit unterschiedlicher GKV-Zulassung Während der Ausbildung würde - wie von den Gutachtern empfohlen - eine Schwerpunktsetzung auf "Erwachsene" oder "Kinder und Jugendliche" erfolgen und damit eine entsprechende Fachkunde erworben. Diese Fachkunde hätte insbesondere Konsequenzen bei der Zulassung zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung. Sie bestimme - wie auch heute - den eingeschränkten Umfang der Behandlungsbefugnis zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese Einschränkung sei aber nicht endgültig. Künftig könnten approbierte Psychotherapeuten über eine Zusatzqualifikation die Fachkunde für die Behandlung der jeweils anderen Altersgruppe erhalten. Die Vorgaben für den Erwerb der Fachkunde könnten in einer Weiterbildungsordnung von der Profession selber festgelegt werden.

Lehndorfer zeigte großes Verständnis für die Emotionalität der Debatte. Die Verschmelzung von PP und KJP zu einem Beruf werde wohl nur dann von KJP und PP gemeinsam getragen, wenn sich alle Psychotherapeuten mit ihren Kompetenzen in dem künftigen Beruf wiederfinden könnten.

In der anschließenden Diskussion stand die Frage "Ein oder zwei Berufe?" im Vordergrund. Einige Teilnehmer gaben dem Doppelapprobationsmodell des Forschungsgutachtens den Vorzug, weil damit KJP auch künftig als eigenständiger Approbationsberuf erhalten bleiben. PP wiesen darauf hin, dass der in diesem Modell neu geschaffene Beruf des "Erwachsenenpsychotherapeuten" in seinen Befugnissen gegenüber den heutigen PP deutlich beschnitten wäre - ohne nennenswerte Reduzierung der Ausbildungszeit. PP seien heute berufsrechtlich zur Behandlung aller Altersgruppen befugt, Erwachsenenpsychotherapeuten wären das nicht mehr. In vielen Beiträgen fand daher das BPtK-Konsensmodell Unterstützung, da es einen neuen Lösungsansatz darstelle. Es erlaube eine positive Weiterentwicklung der beiden heutigen Berufe KJP und PP. Insbesondere KJP forderten vor weitergehenden Entscheidungen eine konkrete Operationalisierung dieser Option inklusive der Struktur des Common trunk.

Eine Reform der Ausbildung hätte langfristige Auswirkungen nicht nur auf die Zukunft der psychotherapeutischen Arbeit, sondern auch auf die Versorgung von psychisch kranken Menschen. Das Symposium warf daher einen Blick auf die Versorgung psychisch kranker Menschen im Jahr 2020, um daraus das künftige Berufsprofil von Psychotherapeuten und damit mögliche Ausbildungsziele abzuleiten.

Erfahrung mit Psychosepatienten

Prof. Dr. Thomas Bock, Leiter der Spezialambulanz für Psychosen und Bipolare Störungen am UKE Hamburg, wies auf die Notwendigkeit hin, Psychotherapeuten stärker in die Versorgung schwer psychisch kranker Menschen einzubinden. Dafür müssten Psychotherapeuten und Psychotherapie flexibler werden hinsichtlich Zeit, Dauer, Frequenz, Ort und Behandlungssetting. Um das zu erreichen, müssten Psychotherapeuten während ihrer Ausbildung verbindlich Erfahrungen mit Psychosepatienten gesammelt haben.

Multiprofessionelle Versorgung

Für eine stärkere Beteiligung von Psychotherapeuten an der gemeindepsychiatrischen Versorgung psychisch kranker Menschen warb Birgit Görres, Geschäftsführerin des Dachverbandes Gemeindepsychiatrie. Der Leitgedankte der Gemeindepsychiatrie, die Teilhabe psychisch kranker Menschen zu fördern oder aufrechtzuerhalten, brauche multiprofessionelle Teams, die Patienten sektorübergreifend versorgten. Um Psychotherapeuten dabei stärker beteiligen zu können, müssten diese ihr Profil bereits in der Ausbildung auch für die Gemeindepsychiatrie schärfen. Dazu müssten sie umfassender für die Versorgung aller psychischen Erkrankungen qualifiziert werden und zudem Kompetenzen für die Mitarbeit in multiprofessionellen Netzwerken erwerben. Dazu gehöre auch die Qualifikation zum kritischen und kundigen Umgang mit Medikamenten.

Leitungs- und Managementaufgaben

BPtK-Präsident Richter skizzierte in seinem Beitrag Entwicklungen, die auf die Gestaltung der Versorgung psychisch kranker Menschen Einfluss haben werden. Psychische Erkrankungen nehmen als Ursachen für Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung weiter zu. Der demografische Wandel werde gleichfalls zu einem gestiegenen Versorgungsbedarf führen. Das Ziel evidenzbasierter Behandlungen erhöhe den Stellenwert von Psychotherapie, nicht zuletzt deshalb werde Psychotherapie vermehrt von Patienten nachgefragt. Zur Bewältigung dieser Dynamik werde es im Gesundheitswesen zunehmend zu einem Neuzuschnitt von Professionsgrenzen kommen müssen, weil mit der traditionellen Aufgabenverteilung eine bedarfsorientierte flächendeckende Versorgung nicht mehr zu gewährleisten sei. Psychotherapeuten sollten hier bereits heute die Weichen stellen. Die Profession stehe vor einer Richtungsentscheidung. Werde die heutige Ausbildung mit ihrem Kompetenzprofil fortgeschrieben, würden Psychotherapeuten sicherlich weiterhin einen achtbaren Platz in der Versorgung haben. Die Verantwortung für die Versorgung des größten Teils der psychisch kranken Menschen würden dann jedoch andere übernehmen müssen.

Richter sah die Profession in der Pflicht, den ihr möglichen Beitrag zur Versorgung zu leisten. Kompetenzen und Befugnisse von Psychotherapeuten seien so zu erweitern, dass sie künftig Management- und Steuerungsfunktionen in neuen Versorgungsformen bis hin zur Gesamtverantwortung in multiprofessionellen Teams übernehmen könnten. Zu den Befugnissen zählte er u. a. die Verordnung von Heilmitteln (Ergotherapie, Logopädie), das Ausstellen von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die Einweisung in Krankenhäuser oder die Übernahme von Leitungsfunktionen in Krankenhäusern. Nach einer zehnjährigen Testphase seit Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes sei es nun an der Zeit, diese beruflichen Einschränkungen zu überprüfen und abzuschaffen.

In der Diskussion wurde deutlich, dass heute neben gesetzlich nicht erteilten Befugnissen auch strukturelle Hindernisse (Psychotherapie-Richtlinie, Psychotherapie-Vereinbarung, EBM) der notwendigen Beteiligung der Psychotherapeuten an der Versorgung schwer psychisch kranker Menschen im Wege stehen. Insbesondere für niedergelassene Psychotherapeuten stelle die Überwindung dieser Barrieren eine große Herausforderung dar.

Arbeit an gemeinsamen Positionen

Abschließend wurde festgehalten, dass das Symposium neue Impulse und Denkanstöße für die Debatte über die Zukunft der Psychotherapieausbildung gegeben habe. Man sei miteinander ins Nachdenken gekommen. Daraus erwachse die Bereitschaft, Reformoptionen mit weniger Vorbehalten und nicht ausschließlich entlang der eigenen Berufs-, Verfahrens- oder Verbandszugehörigkeit zu diskutieren. Am Ende des Symposiums wünschten sich die Teilnehmer die weitere Konkretisierung der Optionen, um ihre Machbarkeit sowie Vor- und Nachteile besser abschätzen zu können. Dabei wurde das Bedürfnis deutlich, am Ende zu einer gemeinsamen Position zu gelangen und diese gegenüber dem BMG überzeugend zu vertreten. Denn andernfalls würde die Zukunft der Psychotherapeutenschaft direkt oder indirekt durch unterschiedliche Dynamiken geprägt, aber nicht von den Psychotherapeuten selbst gestaltet.


Weitere Dokumente und Vorträge der Referenten finden Sie auf der Seite der BPtK:

 
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