23.11.10 Reform der Psychotherapeutenausbildung dringend
17. Deutscher Psychotherapeutentag in Hannover

Am 13. November fand der 17. Deutsche Psychotherapeutentag (DPT) in Hannover statt. Zum Auftakt verlas Gertrud Corman-Bergau, Präsidentin der Psychotherapeutenkammer Niedersachsen, ein Grußwort ihrer Gesundheitsministerin Aygül Özkan, in dem diese ihre Unterstützung für eine Novellierung des Psychotherapeutengesetzes zusagte. Corman-Bergau warb dafür, einen Schwerpunkt der künftigen Arbeit auf die längst überfällige Reform der Bedarfsplanung zu legen. Dies sei für Niedersachsen von erheblicher Relevanz, da die Versorgungsdichte im Landesdurchschnitt bei nur 14,3 Psychotherapeuten je 100.000 Einwohnern liege.

Reform der Bedarfsplanung

Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), nahm diesen Faden im Bericht des Vorstandes auf. Er erinnerte daran, dass Patienten häufig Monate auf einen Psychotherapieplatz warten. Diese Wirklichkeit spiegele sich nicht in den Zahlen der Bedarfsplanung, die im Gegenteil davon ausgehe, dass 390 von 395 Planungsbereichen mit Psychotherapeuten überversorgt seien. Ein Versorgungsgrad von 100 Prozent stehe in der ambulanten Bedarfsplanung für eine höchst unterschiedliche Anzahl von Psychotherapeuten je Einwohner. Ein Versorgungsgrad von 100 Prozent könne bedeuten, dass zwischen vier und 40 Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner tätig sind. Im ländlichen Altmarkkreis Salzwedel in Sachsen-Anhalt betrage der Versorgungsgrad beispielsweise 245,6 Prozent, der Kreis sei demnach erheblich überversorgt. Tatsächlich versuchten dort neun Psychotherapeuten, die Versorgung von 100.000 Einwohnern sicherzustellen. Lüchow-Dannenberg gehöre mit 463,2 Prozent sogar zu den Top 10 der überversorgten Planungsgebiete. Tatsächlich seien dort gerade einmal 20 Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner tätig.

Richter forderte, dass eine Reform der Bedarfsplanung eine ausreichende Versorgung psychisch kranker Menschen anstreben müsse, unabhängig davon, wo sie lebten. Voraussetzung dafür sei, dass der Bedarf künftig auf einer soliden Datenbasis ermittelt werde. Dafür müsse die regionale Versorgungssituation mittels der Versicherten- und Leistungsdaten der gesetzlichen Krankenkassen sektoren- und berufsgruppenübergreifend erfasst werden. Nur so könnten defizitäre Versorgungsmuster sichtbar gemacht werden. Psychisch kranke Menschen, die in ländlichen Regionen keinen Psychotherapeuten finden, würden z. B. häufiger pharmakologisch oder stationär behandelt - z. T. im Widerspruch zu den Regelungen evidenzbasierter Leitlinien. Die Unterversorgung in der ambulanten Psychotherapie führe so zu mehr Pharmakotherapie oder Krankenhausbehandlung. Solchen Verlagerungseffekten sollten regionale Vereinbarungen zur Versorgungsstruktur gegensteuern können.

Der BPtK-Präsident bat die Landespsychotherapeutenkammern, Verbände und Vertreter der Psychotherapeutenschaft in den Kassenärztlichen Vereinigungen um Unterstützung, damit die historische Chance einer Reform der Bedarfsplanung genutzt werden könne.

GKV-Finanzierungsgesetz

Richter ging kurz auf die Reform zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-FinG) ein, die am Vortag in 2. und 3. Lesung durch den Deutschen Bundestag verabschiedet wurde. Mit diesem Gesetz werde der Wechsel in die private Krankenversicherung (PKV) erleichtert. Dies koste die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) in den nächsten drei Jahren bis zu einer Milliarde Euro und sei eine aus Sicht der Psychotherapeuten ausgesprochen problematische Regelung, da die PKV Menschen mit psychischen Erkrankungen häufig keinen Versicherungsschutz biete. Wer an Depression, Schizophrenie oder einer Psychose erkranke, stehe meist für immer vor den verschlossenen Türen der PKV. Der Wechsel zur PKV sei ein Angebot ausschließlich an die gesunden Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung. Gleichzeitig stiegen in der GKV die Ausgaben für psychische Erkrankungen. So erhöhten sich beispielsweise die direkten Kosten für die Behandlung depressiver Erkrankungen von 4,2 Millionen Euro im Jahr 2002 auf 5,7 Millionen Euro im Jahr 2008. Die PKV entziehe sich dieser wachsenden Versorgungsaufgabe. Nur die GKV nehme den Versorgungsauftrag für psychisch kranke Menschen an und biete ihnen den notwendigen Versicherungsschutz.

6.200 Psychotherapeuten im Krankenhaus tätig Richter schilderte, dass die BPtK sich auch beim neuen Entgeltsystem für Einrichtungen der Psychiatrie und Psychosomatik für eine bessere Versorgung von psychisch kranken Menschen engagiere. Ziel der BPtK sei, bei der Entwicklung des Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS) 2011 und der Kodierrichtlinien die Basis für ein Entgeltsystem zu schaffen, das eine leitlinienorientierte Versorgung psychisch kranker Menschen in psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen ermögliche. Die BPtK müsse sich dies zu einer vorrangigen Aufgabe machen, da nach heutigem Wissensstand Psychotherapie oder psychotherapeutische Methoden bei allen psychischen Störungen, einschließlich Psychosen, und in allen Phasen einer Erkrankung ein bzw. das Mittel der Wahl seien.

Bereits heute arbeiten in Krankenhäusern knapp 6.200 Psychologische Psychotherapeuten (PP) und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (KJP) und damit fast genauso viele wie Ärzte mit entsprechenden Weiterbildungen (6.800). Angesichts dieser Zahlen müsse man sich fragen, weshalb mehr als zehn Jahre nach dem Psychotherapeutengesetz PP und KJP häufig noch keine Leitungsfunktionen in Krankenhäusern übernehmen können. In einigen Bundesländern zeichne sich inzwischen allerdings ein Umdenken ab. Dies werde bald flächendeckend so sein, da angesichts des Ärztemangels im Krankenhaus der Spielraum für standespolitisch motivierte Barrieren schwinden werde.

Reform der Psychotherapeutenausbildung dringend

Zwei Drittel der Delegierten stimmten für eine Reform der Psychotherapeutenausbildung, wie sie der Vorstand der Bundespsychotherapeutenkammer vorgelegt hatte. Sie forderten den Vorstand auf, sich in der Politik für eine entsprechende Novellierung des Psychotherapeutengesetzes noch in dieser Legislaturperiode einzusetzen.

Wie vom 16. DPT im Mai beauftragt, hatte der Vorstand unter Mitwirkung von Berufs- und Fachverbänden, Hochschulvertretern sowie Vertretern von Ausbildungsteilnehmern und Ausbildungsstätten ein detailliertes Reformkonzept ausgearbeitet, das bereits einem schriftlichen Stellungnahmeverfahren unterzogen und auf einem Ausbildungsgipfel am 26. Oktober erörtert worden war. Der Vorstand präsentierte den Delegierten die Details einer Reform des Psychotherapeutengesetzes und einer neuen Approbationsordnung.

Der Vorstand dankte allen Beteiligten für die engagierte Mitarbeit, ohne die der Auftrag des 16. DPT nicht so rasch hätte erfüllt werden können. Mit dem Ergebnis verfüge die Profession über Lösungen für die zentralen Probleme der Psychotherapeutenausbildung. Und sie brauche eigene Lösungen, wie die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BT-Drs. 17/3153) gezeigt habe. Das Bundesgesundheitsministerium nehme jedenfalls bisher eine Etablierung des Bachelorabschlusses in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie billigend in Kauf und habe auch kein wirksames Konzept, um die finanzielle Situation der Psychotherapeuten in Ausbildung (PiA) zu verbessern.

Zweidrittelmehrheit für schnelle Gesetzesinitiative

Der 17. DPT diskutierte eingehend die einheitlichen Eingangsqualifikationen des zukünftigen Psychotherapeutenberufes, die bereits auf dem 16. DPT grundsätzlich beschlossen und im Detail auf dem BPtK-Ausbildungsgipfel am 26. Oktober in Berlin diskutiert worden waren.

Dabei wurde einerseits betont, dass die auf Kompetenzanforderungen beruhenden psychologischen Grundkenntnisse notwendige Basis für einen gemeinsamen Heilberuf seien. Die als Gäste geladenen Vertreter (sozial-)pädagogischer Studiengänge (Prof. Dr. Silke Birgitta Gahleitner, Prof. Dr. Michael Borg-Laufs und Prof. Dr. Mark Helle) machten andererseits deutlich, dass pädagogische Kenntnisse und Fertigkeiten für sie ebenfalls zu den grundlegenden Kenntnissen gehören und warnten, dass (sozial-)pädagogische Studiengänge die psychologischen Grundlagen in diesem Umfang nicht vermitteln könnten, weil sie ihre Studierenden für Tätigkeiten im Sozialwesen qualifizieren müssten.

Die Delegierten begrüßten die Initiative des Vorstandes der BPtK, mit den Repräsentanten der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaften und des Fachbereichstages Soziale Arbeit Details für eine praktikable Ausgestaltung und angemessene Umsetzung der Beschlüsse des 16. DPT zu den Eingangsqualifikationen der postgradualen Psychotherapeutenausbildung zu besprechen. Zugleich wurde davor gewarnt, dabei über Scheinalternativen zu diskutieren. Ohne eine adäquate Regelung der Zugangsvoraussetzungen werde der Bachelor als Zugangsvoraussetzung hoffähig, denn die heutigen Zugangsvoraussetzungen seien nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Die vorgestellten Detailvorschläge seien ein guter Kompromiss zwischen den beiden Polen "Bachelor für KJP" und "Direktausbildung für Alle", welche beide von der Profession nachdrücklich abgelehnt würden.

Vor allem Vertreter der PiA mahnten in der Debatte, Ausbildungsteilnehmer künftig nicht stärker als heute zu belasten, und forderten eine kritische Prüfung der vorgeschlagenen Änderungen. Grundsätzlich läge mit dem Vorstandsentwurf aber eine gute Grundlage vor, die Probleme der Ausbildungsteilnehmer zu lösen.

In die Debatte zur Praktischen Ausbildung I und II wurde das Anliegen eingebracht, dass diese Ausbildungsteile auch in Einrichtungen außerhalb des SGB V, in denen psychisch kranke Menschen behandelt werden, erbracht werden können. Der Vorstand wies darauf hin, dass er dieses Anliegen bereits in seinen Entwurf übernommen habe. Er werde prüfen, inwieweit zusätzliche Regelungen für die Erziehungsberatungsstellen möglich seien.

In den vorgeschlagenen Übergangsregelungen sahen viele eine gelungene Lösung. Insbesondere die Ausbildungsteilnehmer, Ausbildungsstätten und Hochschulen sowie die heutigen Studierenden hätten mit den Vorschlägen ausreichend Zeit, sich auf die neuen Anforderungen ein- bzw. umzustellen. In der Debatte wurde deutlich gemacht, dass die (freiwillige) Überführung weder für PP noch für KJP Beschränkungen ihrer heutigen Kompetenzen bedeuteten. Für KJP ergebe sich im Gegenteil die Möglichkeit, durch einen Anpassungslehrgang ihre Behandlungsbefugnis auf Erwachsene auszuweiten.

Akzeptanz fanden auch Regelungen, mit denen die bestehenden Nachteile bei der Anerkennung von Supervisoren in neuen wissenschaftlich anerkannten Verfahren beseitigt werden sollen. Nicht durchsetzen konnten sich dagegen einige Delegierte mit der Forderung, dass künftig bereits die Approbation in einem wissenschaftlich anerkannten Verfahren, das zur vertieften Ausbildung empfohlen wurde, zu einem Arztregistereintrag führen solle. Hier sahen die Delegierten bei allem Verständnis für das Anliegen die Gefahr, dass damit so weitreichende Änderungen im Sozialrecht erforderlich werden, dass die Durchsetzung einer Ausbildungsreform zu stark erschwert werde.

Die Delegierten des 17. DPT stimmten schließlich mit Zweidrittelmehrheit für den Entwurf des Vorstandes zu den Details einer umfassenden Novellierung des Psychotherapeutengesetzes und der Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen. Viele Delegierte dankten dem Vorstand für das überzeugende Reformkonzept. Sie forderten den Vorstand auf, unverzüglich eine Gesetzesinitiative auf den Weg zu bringen.

Psychotherapeuten in Ausbildung

Der DPT verbesserte die Arbeitsbedingungen der Bundeskonferenz der Psychotherapeuten in Ausbildung. Ohne Gegenstimme nahmen die Delegierten einen Antrag an, mit der die Bundeskonferenz der PiA künftig mehrmals im Jahr zusammentreffen und zudem einen weiteren Stellvertreter des PiA-Sprechers wählen kann. Dadurch werde ein kontinuierlicherer länderübergreifender Austausch der PiA möglich und damit die abgestimmte Positionierung gegenüber dem Vorstand der BPtK und dem Deutschen Psychotherapeutentag erleichtert.

Mit deutlicher Mehrheit brachte der DPT darüber hinaus den Wunsch zum Ausdruck, dass PiA zukünftig in allen Landespsychotherapeutenkammern Mitglieder werden können. Die Vorstände und Delegierten der Landespsychotherapeutenkammern wurden gebeten, sich für landesrechtliche Regelungen einzusetzen, die die Kammermitgliedschaft von PiA ermöglichen.


Psychotherapie für Migranten

Zum Abschluss forderte der 17. DPT eine bessere psychotherapeutische Versorgung von Migranten. Migration ist für viele Menschen mit kritischen Lebensereignissen verbunden, die das Risiko, psychisch zu erkranken, deutlich erhöhen können. Migranten leiden in Deutschland um fast 60 Prozent häufiger an Depressionen als Einheimische, nehmen jedoch deutlich weniger Psychotherapie in Anspruch.

Ausländerbehörden sollten künftig über mehrsprachige Informationen zu psychischen Erkrankungen und psychotherapeutische Angebote der gesetzlichen Krankenversicherung und kommunaler Beratungsstellen verfügen. Darüber hinaus brauchen Migranten muttersprachliche Psychotherapie, um sich möglichst ungehindert mit dem Psychotherapeuten über seelische Belastungen und Konflikte austauschen zu können. Deshalb sollte die Bedarfsplanungs-Richtlinie erweitert werden. Zukünftig sollte die Richtlinie vorschreiben, dass ein zusätzlicher lokaler Sonderbedarf vorliegt, wenn z. B. der Anteil von Migranten mit einer gemeinsamen Muttersprache in einem Stadtbezirk über zehn Prozent beträgt. Sind Psychotherapeuten mit der notwendigen sprachlichen Qualifikation nicht verfügbar, sollte der Einsatz von Dolmetschern zur Leistung der GKV werden.

Daneben sollten Krankenhäuser verpflichtet werden, in ihren Qualitätsberichten Angaben zu spezifischen Versorgungsangeboten für Migranten inklusive Dolmetscherdienste zu machen. Diese Informationen sollten patientengerecht und mehrsprachig verfügbar sein. Um frühzeitig präventive Angebote machen zu können bzw. den Zugang zur Behandlung zu bahnen, sollten Schuleingangs- und Vorsorgeuntersuchungen in der Grundschulzeit um Screenings zu psychischen Auffälligkeiten erweitert werden. Auch ist der Kreis der Anspruchsberechtigten für psychotherapeutische Leistungen zu erweitern, indem Asylsuchende die gleichen Gesundheitsleistungen erhalten wie Sozialhilfeempfänger.

Grundlage einer besseren Versorgung ist schließlich auch eine bessere Qualifizierung der Psychotherapeuten. Dazu sollte interkulturelle Kompetenz verbindlich in die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung der Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten aufgenommen werden (siehe Resolution).


Besser vor Glücksspielsucht schützen

Der DPT verabschiedet ferner eine Resolution zur Glückspielssucht. Ausgehend von der Kritik des Europäischen Gerichtshofs am staatlichen deutschen Glücksspielmonopol, forderten die Delegierten die Politik auf, die notwendige Neugestaltung des Gesetzes zu nutzen und dabei den präventiven Gesundheitsschutz in den Mittelpunkt zu stellen.


Folgende Dokumente zum Psychotherapeutentag stehen hier zum Download bereit:


Vorträge des BPtK-Vorstands zum Thema "Reform der Psychotherapeutenausbildung":

 
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