16.12.2010 Veränderter Bedarf an Psychotherapie nicht berücksichtigt
G-BA beschließt Demografiefaktor in der Bedarfsplanung

(BPtK) Die Zahl der Praxissitze von Psychotherapeuten und Ärzten wird zukünftig an die Alterstruktur der deutschen Bevölkerung angepasst. Das hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) am 15. Juli mit der Einführung eines Demografiefaktors beschlossen. Der G-BA-Beschluss trat am 27. November mit der Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft.

Dabei geht der G-BA jedoch weiterhin davon aus, dass sich der Bedarf an Psychotherapie z. B. darin ausdrückt, wie häufig diese durch Patienten in Anspruch genommen wird. Wo kein Psychotherapeut verfügbar ist, kann allerdings auch kein Psychotherapeut in Anspruch genommen werden. In ländlichen Gebieten kommt derzeit auf 23.000 Einwohner ein Psychotherapeut. Patienten warten deshalb bereits monatelang auf eine psychotherapeutische Behandlung, weichen auf eine einseitige Pharmakotherapie aus oder nutzen verstärkt die Behandlung in psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhäusern. "Der G-BA plant den Bedarf an Psychotherapeuten und Ärzten nach wie vor rückblickend", kritisiert Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). "Damit schreibt er die massive Unterversorgung in der Psychotherapie fort. Der beschlossene Demografiefaktor wird diese Unterversorgung sogar noch weiter verschärfen."

Der G-BA versucht, mit dem Demografiefaktor den spezifischen Bedarf an medizinischen Leistungen für ältere Menschen besser zu berücksichtigen. Dies führt in der psychotherapeutischen Versorgung jedoch zu einer massiven Fehleinschätzung des zukünftigen Bedarfs. Psychische Krankheiten waren jahrzehntelang stigmatisiert und Psychotherapie wurde deshalb insbesondere von den heute älteren Menschen kaum in Anspruch genommen. Der gesellschaftliche Wandel hat jedoch dazu geführt, dass heute insbesondere jüngere Menschen einen offeneren Umgang mit psychischen Krankheiten gelernt haben. "Die Bereitschaft dieser Menschen, sich aufgrund einer psychischen Krankheit behandeln zu lassen, wird auch im Alter deutlich höher sein", stellt BPtK-Präsident Richter fest. "Der Demografiefaktor des G-BA unterstellt aber, dass der Bedarf an Psychotherapie im Alter nicht wächst." Die BPtK hatte in ihrer Stellungnahme auf die Defizite des Demografiefaktors hingewiesen und vorgeschlagen, bis zu einer grundsätzlichen Reform der Bedarfsplanung den notwendigen Mehrbedarf an Psychotherapeuten und Ärzten über das Instrument der Sonderbedarfszulassung zu regeln.

Auch das Bundesministerium für Gesundheit hatte zunächst Zweifel, ob der Demografiefaktor zur Sicherstellung der bedarfsgerechten Versorgung geeignet ist und das Inkrafttreten des Beschlusses mit Schreiben vom 9. August 2010 vorläufig verhindert. Der Beschluss konnte deshalb auch jetzt nur mit der Auflage in Kraft treten, über den Stand der Umsetzung bis zum 30. Juni 2011 zu berichten.

Die Mängel des Demografiefaktors zeigen, wie dringend eine umfassende Reform der heutigen Bedarfsplanung ist. In Zukunft sollte die tatsächliche Krankheitshäufigkeit (Morbidität) der Bevölkerung die Zahl der Praxissitze für Psychotherapeuten und Ärzte bestimmen. Die Planung sollte auf breiter Datengrundlage prospektiv und sektorenübergreifend erfolgen. Die Fortschreibung des Status quo mittels Demografiefaktor vergrößert dagegen die Unterversorgung in der Psychotherapie.

 
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