12.04.11 PTBS-Risiko in Afghanistan sechs bis zehnfach erhöht
Rund 300 Bundeswehrsoldaten erkranken jährlich

(BPtK) Rund zwei Prozent der Bundeswehrsoldaten, die im Jahr 2009 in Afghanistan eingesetzt waren, erkrankten an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Ihr Erkrankungsrisiko ist damit um das sechs- bis zehnfache höher als bei Soldaten ohne Auslandseinsatz. Nur jeder zweite Soldat hat nach eigenen Angaben deshalb eine professionelle Hilfe aufgesucht, was auf eine "nennenswerte Dunkelziffer" von ca. 50 Prozent schließen lässt.

Diese Studienergebnisse präsentierte Prof. Dr. Hans-Ulrich Wittchen von der Universität Dresden am 6. April im Psychotraumazentrum des Bundeswehrkrankenhauses Berlin. Das PTBS-Risiko deutscher Soldaten liegt damit erheblich unter dem Risiko von US-Soldaten im Irak- oder Afghanistankrieg (15 bis 20 Prozent) und auch unter dem Risiko von britischen Soldaten (zwei bis vier Prozent).

Kriegerische Auseinandersetzungen sind mit einem hohen Risiko für psychische Erkrankungen verbunden. Dazu gehören akute Schockreaktionen, Depressionen und Suizide, Angst- und Suchterkrankungen, körperliche Erkrankungen, für die sich keine organischen Ursachen finden lassen, sowie chronische Erschöpfung und Schlafstörungen. Insbesondere nach Kampfeinsätzen, in denen Soldaten lebensgefährlich bedroht wurden oder Kameraden starben, kann es zu einer PTBS kommen. Das Erlebnis einer intensiven Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen kann noch Monate später eine schwere psychische Erkrankung auslösen, bei der das traumatische Ereignis immer wieder unkontrolliert erlebt wird (z. B. Alpträume, Flashbacks). Das normale psychische Erleben ist dann stark gestört und erschwert es den Erkrankten erheblich, wieder ein normales Alltagsleben zu führen.

Soldaten in Auslandseinsätzen erleben belastende Ereignisse "extrem häufig", durchschnittlich 20 Ereignisse je Soldat (Kampf-, Verletzungs- und Todeskonfrontation). Nur wenige werden allerdings als traumatisch erlebt. Bei Kampftruppen sind die "traumatischen Ereignisraten" jedoch dreifach, am Einsatzort Kundus sogar vierfach erhöht. Die Auswertung der Studie ließ zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Aussage zu, wie häufig bei Soldaten in Kundus PTBS-Erkrankungen auftreten.

Im Durchschnitt kehren zwei von zehn Soldaten von einem ISAF-Auslandseinsatz mit einer PTBS zurück. Nach der Dresdner Studie erkranken deutsche Soldaten allerdings deutlich seltener an PTBS als US-amerikanische und britische Soldaten. Die internationalen Unterschiede in den PTBS-Raten lassen sich nach Prof. Wittchen neben der Häufigkeit von Kampfeinsätzen auch auf die "effektiveren gesundheitlichen Auswahlverfahren bzw. Einsatzmodalitäten der Bundeswehr für Auslandseinsätze" zurückführen. Im Durchschnitt liegt die Erkrankungsrate der Soldaten im Auslandseinsatz damit nicht höher als das Risiko in der Allgemeinbevölkerung, an einer PTBS zu erkranken (1,9 Prozent über 12 Monate). Es gibt sogar Hinweise darauf, dass Soldaten im Auslandseinsatz im Übrigen weniger psychisch auffällig sind als die Allgemeinbevölkerung und Soldaten ohne Auslandseinsätze. Soldaten mit Auslandseinsätzen litten zwar häufiger an Angst- und Erschöpfungssyndromen, aber auch deutlich seltener an Suchterkrankungen.

Auf längere Sicht bedeutet aber auch die niedrige PTBS-Rate der deutschen Soldaten ein ernstes Versorgungsproblem, da immer mehr Soldaten im Auslandeinsatz sind und die Einsätze gefährlicher werden. Bisher erkrankten rund 300 von ca. 15.000 Soldaten im Jahr. Bei 30.000 Soldaten erhöht sich diese Zahl in fünf Jahren bereits auf rund 3.000 PTBS-Kranke. Schon jetzt muss davon ausgegangen werden, dass mindestens jeder zweite PTBS-Kranke nicht behandelt wird.

Für die Studie wurden insgesamt 2.370 Soldaten befragt, 1.488 Soldaten mit Auslandseinsatz und 882 ohne Auslandseinsatz (Kontrollgruppe). Die Soldaten mit Auslandseinsatz waren bereits durchschnittlich 8,5 Jahre im Bundeswehrdienst. Sie waren im Schnitt vier Monate im Einsatz. Nur ein Fünftel war in einer Kampftruppe. Mit 94 Prozent der angesprochenen Soldaten konnte ein zweistündiges persönliches Untersuchungsgespräch geführt werden. Die Dresdner Studie ist damit eine der weltweit größten und klinisch differenziertesten Studie zu psychischen Belastungen von Soldaten.

 
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