14.05.2012Rund 4.000 Psychotherapeuten fehlen in der ambulanten Versorgung
Psychotherapeutische Versorgung auf dem Land nicht ausreichend

(BPtK) Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) fordert rund 4.000 Praxissitze zusätzlich, um eine ausreichende psychotherapeutische Versorgung in ländlichen Regionen sicherzustellen. Auf dem Land warten psychisch kranke Menschen doppelt so lange auf einen Behandlungsplatz wie in der Stadt. Im Durchschnitt erhalten psychisch Kranke in ländlichen Kreisen erst nach vier Monaten einen Termin, in Großstädten immerhin bereits nach knapp zwei Monaten. Dadurch sind insbesondere die Patienten in ostdeutschen Bundesländern benachteiligt. In Brandenburg warten psychisch kranke Menschen fast fünf Monate, in Mecklenburg-Vorpommern viereinhalb Monate und in Thüringen knapp vier Monate. „Der Gemeinsame Bundesausschuss hat den Bedarf an ambulanter Psychotherapie in den ländlichen Regionen im Jahr 1999 erheblich unterschätzt, als er die Zahl der Psychotherapeuten festlegte“, kritisiert BPtK-Präsident Prof. Dr. Rainer Richter. „Um die eklatante Unterversorgung auf dem Land zu beheben, brauchen wir deutlich mehr Psychotherapeuten.“

In „ländlichen Kreisen mit geringer Dichte“ (Kreistyp 9) versorgen bislang durchschnittlich etwa neun Psychotherapeuten jeweils 100.000 Einwohner. „Das ist skandalös wenig“, urteilt BPtK-Präsident Richter. In ländlichen Regionen sollten zumindest in etwa halb so viele Psychotherapeuten pro 100.000 Einwohner tätig sein wie in Großstädten. In Großstädten arbeiten knapp 60 Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner. „Langfristig sollte sich der Bedarf an Ärzten und Psychotherapeuten an Alter, Geschlecht, sozialer Schicht und Morbidität der Bevölkerung orientieren“, schlägt BPtK-Präsident Richter vor. „Der Gemeinsame Bundesausschuss sollte ein unabhängiges Institut damit beauftragen, diese Kriterien für eine qualitative Bedarfsplanung zu entwickeln. Kurzfristig brauchen wir aber dringend eine Korrektur der Bedarfsplanung, die die gravierendsten Mängel der bisherigen Berechnungen korrigiert.“

Häufigkeit psychischer Erkrankungen auf dem Land und in der Stadt
Psychische Krankheiten sind auf dem Land kaum seltener als in der Stadt. In Großstädten erkranken jährlich rund 34 Prozent der Bevölkerung, auf dem Land circa 26 Prozent. Das Risiko psychisch zu erkranken beträgt auf dem Land also 75 Prozent des Risikos in der Stadt. Die bisherige Bedarfsplanung geht aber davon aus, dass auf dem Land nur elf Prozent der in der Stadt erforderlichen Psychotherapeuten notwendig sind. „Bei keiner Arztgruppe werden so große Unterschiede zwischen Stadt und Land gemacht wie bei den Psychotherapeuten“, kritisiert der BPtK-Präsident. „Dafür gibt es keine sachliche Begründung.“

Historische Planungsfehler
Der Gemeinsame Bundesausschuss ermittelte im Jahr 1999 die zulässige Anzahl niedergelassener Psychotherapeuten nicht auf Basis der Häufigkeit der psychischen Erkrankungen, er zählte vielmehr die durchschnittliche Zahl der psychotherapeutischen Praxen in Kreisen und Städten und legte diese als Höchstgrenzen fest. Dabei legte er nicht – wie bei den Ärzten – die Versorgung in Westdeutschland zugrunde, sondern bezog Ostdeutschland in seine Berechnungen mit ein. Im Osten gab es jedoch aus historischen Gründen deutlich weniger niedergelassene Psychotherapeuten als im Westen. So versorgte nach Daten aus dem Jahr 2000 ein Psychotherapeut in einem ländlichen Kreis Ostdeutschlands rund 33.000 Einwohner, im Westen waren es dagegen erheblich weniger, nur circa 11.000 Einwohner. „Die BPtK fordert, dass der Gemeinsame Bundesausschuss auch bei den Psychotherapeuten der Logik der Bedarfsplanung folgt und die Versorgungsdichte in Westdeutschland zum Ausgangspunkt der Planungsentscheidungen macht“, erklärt Prof. Dr. Rainer Richter. „Systematische Fehlentscheidungen des Jahres 1999 sind bis heute die Ursache für eine außergewöhnliche Unterversorgung psychisch kranker Menschen, insbesondere im ländlichen Raum. Es ist an der Zeit, dass der Gemeinsame Bundesausschuss das Problem löst“.

Pendler
Die BPtK schlägt außerdem vor, Pendler zwischen ländlichen Regionen und Ballungszentren in der Bedarfsplanung zu berücksichtigen. Menschen, die in die Großstädte zur Arbeit fahren, nehmen Psychotherapie auch in der Nähe des Arbeitsplatzes in Anspruch. Es ist deshalb sinnvoll, dass in Großstädten mehr Psychotherapeuten tätig sind als in ländlichen Regionen. Nicht-Erwerbstätige, Kinder, Jugendliche und Rentner benötigen allerdings weiterhin eine wohnortnahe psychotherapeutische Versorgung.

Demografiefaktor
Um den Behandlungsbedarf einer älter werdenden Gesellschaft in der Bedarfsplanung zu berücksichtigen, hat der Gemeinsame Bundesausschuss den sogenannten Demografiefaktor eingeführt. Mit diesem Faktor soll der steigende Anteil von älteren Menschen und deren spezifische Krankheitshäufigkeit in der Bedarfsplanung berücksichtigt werden. Psychische Krankheiten treten in allen Altersgruppen aber ungefähr gleich häufig auf. Ein altersbedingter Behandlungsmehrbedarf spielt daher – anders als bei vielen körperlichen Erkrankungen – bei psychischen Erkrankungen keine Rolle. Die Behandlungsrate bei älteren Menschen kann bestenfalls auf das Niveau jüngerer Menschen angehoben werden, einen demografiebedingten Mehrbedarf wird es bei alten Menschen nicht geben. „Die BPtK fordert das Aussetzen des Demografiefaktors für die Psychotherapeuten“, erklärt Richter, „da insbesondere die erheblich unterversorgten ländlichen Regionen durch die Anwendung des Demografiefaktors nochmals schlechter gestellt werden.“

Extrabudgetäre Vergütung
Die BPtK fordert eine extrabudgetäre Vergütung der Psychotherapeuten, die ab dem Jahr 2013 neu zugelassen werden. Die Honorare für die zusätzlichen Praxen sollten zusätzlich zur morbiditätsorientierten Gesamtvergütung von den Krankenkassen finanziert werden. Die BPtK geht von einem zusätzlichen Honorarbedarf von rund 300 Millionen Euro aus (73.400 Euro Jahresumsatz je Praxis). „Die Krankenkassen sollten erkennen, dass sich Investitionen in die ambulante psychotherapeutische Versorgung für sie rechnen“, erklärt BPtK-Präsident Rainer Richter. „Patienten die keinen Psychotherapeuten finden, wenden sich notgedrungen häufiger an Krankenhäuser oder warten so lange, bis sich ihre Erkrankung verschlimmert oder chronisch geworden ist. Es liegt im ökonomischen Interesse der Krankenkassen, für eine ausreichende und leitlinienorientierte psychotherapeutische Versorgung zu sorgen.“



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