(BPtK) „Lieber Matz, dein Papa hat ´ne Meise“, mit einer Lesung von Briefen eines Vaters an den Sohn begann das letzte Symposium 2012 aus der Reihe „Gute Praxis psychotherapeutische Versorgung“ der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) am 5. Dezember 2012 in Berlin. In den Briefen erzählt Sebastian Schlösser wie eine manisch-depressive Erkrankung sein Leben fast zerstörte und wie er wieder gesund wurde. Mit gerade 27 Jahren wird der Autor Theaterregisseur am Hamburger Schauspielhaus. Doch seine Karriere endet, als er an einer bipolaren Störung erkrankt. In den manischen Phasen arbeitet er Tag und Nacht und ist durch nichts zu bremsen. In den depressiven Phasen ist er so in sich gefangen, dass er nichts mehr fühlt und an Selbstmord denkt. Schließlich bricht er zusammen und erkennt, dass es so nicht weitergehen kann.
Psychotherapie ergänzt Pharmakotherapie
In seinem Vortrag zur S3-Leitlinie „Bipolare Störungen“ erläuterte Prof. Dr. Martin Hautzinger (Universität Tübingen), warum Psychotherapie – immer in Ergänzung zu einer medikamentösen Behandlung – in den depressiven Phasen sowie zur Rückfallprophylaxe zu empfehlen sei. Wirksamkeitsnachweise lägen für die kognitive Verhaltenstherapie, familienfokussierte Therapie und die interpersonelle Rhythmustherapie vor. Wichtiges Ziel in der Psychotherapie sei, dass der Patient lerne, Stimmungsveränderungen rechtzeitig wahrzunehmen und zwischen normalen und auffälligen Stimmungsschwankungen zu differenzieren. Zudem sei es wesentlich, dem Patient bewusst zu machen, wie wichtig ein stabiler Schlaf-Wach-Rhythmus und eine regelmäßige Lebensführung bei dieser Erkrankung sei. Wenig und unregelmäßiger Schlaf, Alkohol- und Drogenmissbrauch sowie eine unzureichende Pharmakotherapie seien häufige Auslöser für manische Episoden, so Hautzinger. Das Rückfallrisiko könne durch die Kombination von Psychotherapie und Pharmakotherapie um 40 Prozent reduziert werden (verglichen mit der Standardbehandlung).
Phasenübergreifende Begleitung
Von den Vorteilen einer integrierten Versorgung von Patienten mit bipolaren Störungen berichtete Prof. Dr. Thomas Bock, Leiter der Spezialambulanz für Psychosen und Bipolare Störungen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, der das „Hamburger Modell“ vorstellte. Am Versorgungsnetz seien die Institutsambulanz mit Krisentagesklinik und Krisenstation, ein Home Treatment Team, niedergelassene Psychiater und Psychotherapeuten, ambulante psychiatrische Pflege sowie Selbsthilfegruppen beteiligt. Finanziert werde die Behandlung über eine Jahrespauschale basierend auf den Vorjahreskosten. Dies garantiere eine sektorenübergreifende Behandlungskontinuität. Psychotherapie sei dabei phasenübergreifend integriert. Auch die Angehörigen würden in die Behandlung einbezogen. „Dies nicht zu tun ist ein Kunstfehler“, so Bock.
Das Hamburger Modell ist sowohl therapeutisch als auch wirtschaftlich ein Erfolg: Die Zahl der stationären Behandlungen konnte halbiert werden, es kam zu einer deutlichen Verringerung von Zwangseinweisungen und der Anteil der Psychotherapie an der Behandlung konnte von fünf auf 52 Prozent gesteigert werden. Gleichzeitig kam es zu einer deutlichen Senkung der Kosten der Gesamtbehandlung.
Britta Bernhard
Vernetzte Behandlung auch ambulant möglich
Dass eine vernetzte und multiprofessionelle Behandlung durchaus auch in einer ambulanten Praxis möglich ist und es gelingen kann, hypomane Phasen abzufangen, sodass der Patient nicht wieder in eine Manie gleitet , zeigte der Vortrag von Dr. Britta Bernhard, die als Psychotherapeutin in Olching niedergelassen ist. Hier sei auch das Engagement der Psychotherapeuten gefragt. „Ich rufe den Psychiater von mir aus an, um beispielsweise eine andere Medikamentendosierung anzuregen“, so Bernhard. Häufig wüssten Psychiater und Psychotherapeuten zu wenig über die Arbeit der jeweils anderen Berufsgruppe. Interdisziplinäres Wissen über bipolare Erkrankungen und Offenheit seien auf beiden Seiten notwendig für eine gute Zusammenarbeit. Eine vernetzte ambulante Behandlung belasse den Patienten in seinem gewohnten Umfeld und helfe somit, die Krankheitsbelastung zu verringern. Viele ambulante Therapeuten scheuten jedoch davor zurück, Patienten mit bipolaren Störungen zu übernehmen. Eine bessere Verankerung entsprechender Inhalte in Ausbildungscurricula und Fortbildungsangeboten sei deshalb wünschenswert.
Barrieren in den Köpfen abbauen
Dem pflichtete auch BPtK-Vizepräsidentin Monika Konitzer in ihrem Schlusswort bei. Nach einer Studie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung von 2012 sind bipolare Störungen nicht unter den 20 häufigsten Diagnosen in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung zu finden. Gemessen an dem hohen Anteil der Patienten, die wegen ihrer Erkrankung in Kontakt mit dem Gesundheitswesen standen, deutet dies auf Probleme der Vermittlung von Patienten an ambulante Therapeuten hin. Da die Psychotherapie-Richtlinie eine ambulante Psychotherapie grundsätzlich ermögliche, gehe es vor allem darum, die „Barrieren“ in den Köpfen der Psychotherapeuten abzubauen, so Konitzer.
Literatur
Schlösser, Sebastian: Lieber Matz, dein Papa hat ne´Meise. Ein Vater schreibt Briefe über seine Zeit in der Psychiatrie, Ullstein Verlag, 2011.
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