30.6.2013Psychotherapie bei Flüchtlingen, Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund
Kammerveranstaltung im ZfP Reichenau

Psychotherapie mit Flüchtlingen und Migranten stellt eine besondere Herausforderung für uns Psychotherapeuten dar, aber sie ist möglich. Dies würde allerdings die Entwicklung spezieller Fertigkeiten und interkultureller Kompetenzen, am besten bereits in der Ausbildung voraussetzen, wird dort aber noch zu wenig berücksichtigt.

Dies war die gut untermauerte „take home message“ auf der Kammerveranstaltung vom 26.Juni im Zentrum für Psychiatrie Reichenau von Dr. Michael Odenwald, Leiter der Psychotherapieambulanz der Universität Konstanz und langjährig erfahren in der Behandlung von traumatisierten Flüchtlingen. Zu dieser hatte Tilman Kluttig, dort leitender Psychologe in der Klinik für forensische Psychiatrie, die Organisation übernommen und führte durch den Tag. Gekommen waren ca. 30 angestellte KollegInnen, die aus stationären, teilstationären und ambulanten Einrichtungen der Psychiatrie, der Psychosomatik, aus Rehaeinrichtungen, Tageskliniken usw. aus ganz Baden-Württemberg angereist waren. Da die Teilnehmer, wie die Diskussion zeigte, überwiegend selbst in ihrer täglichen klinischen Arbeit häufig konfrontiert sind mit Menschen, die dieses Schicksal haben, war das Interesse am Thema groß.

Anhand der berichteten Untersuchungen und Forschungsbefunde wurde deutlich, dass von den Bundesländern neben Hamburg und Bremen Baden-Württemberg den höchsten Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund hat (ca. 25 % der Bevölkerung). Migranten nehmen im Vergleich insgesamt weniger medizinische Leistungen in Anspruch und unterscheiden sich in ihrem Krankheitsspektrum nicht wesentlich von dem deutscher Patienten, weisen jedoch wesentlich höhere psychosoziale Belastungen auf. Diagnostisch überwiegen affektive und somatoforme Störungen. Auch hier gilt es genau zu unterscheiden, denn während bei osteuropäischen Migranten Suchtprobleme stark im Vordergrund stehen, sind dies bei türkischen Migranten vor allem affektive Störungen und Psychosen, bei der zweiten Generation mit Migrationshintergrund weisen Untersuchungen eher auf einen höheren Anteil an Persönlichkeitsstörungen hin Um mit Menschen mit diesen unterschiedlichen Problemschwerpunkten arbeiten zu können, bedarf es der Entwicklung einer größeren Kultursensibilität und interkultureller Kompetenzen. Dem sollte entsprechend dem hohen Anteil an Migranten in der Ausbildung größeres Gewicht zukommen.

Michael Odenwald verdeutlichte, wie Psychotherapie durch Beisein eines Dolmetschers den Beziehungskontext verändert und die Vermittlung von Inhalten beeinflusst und begrenzt und zeigte an Beispielen, wie sich durch Übung und Rollenspiel diese besondere Beziehungskonstellation und Dynamik besser wahrnehmen und aktiv gestalten lässt. Das Programm dieser ganztägigen Veranstaltung ließ bereits am Vormittag viel Platz für die Diskussion und den Erfahrungsaustausch hinsichtlich der therapeutischen Arbeit. Es wurde dabei deutlich, dass die fachlich-psychotherapeutischen Kompetenzen und Möglichkeiten im Kontext der Psychotherapie in Institutionen derzeit bestimmt und begrenzt werden durch Trägerwechsel, knappe finanzielle und personelle Ressourcen und signifikanten Ärztemangel. Die Teilnehmer berichteten, dass zum Ausgleich dieses Mangels ein hoher Einsatz gefordert sei, meist ohne entsprechende Anerkennung der Approbation, Laufbahnmöglichkeit und Bezahlung. Letzteres mache eine langjährige Tätigkeit in Kliniken zunehmend unattraktiver. Von den anwesenden Ausbildungskandidaten wurde berichtet, dass sie häufig mithelfen müssten, diesen Mangel auszugleichen, wobei im Vergleich zu den Vorjahren die immer noch geringe Bezahlung von 200 – 800 € (bei wenigen Ausnahmen, in denen Festanstellung angeboten werde) überwiege.

Zum Abschluss der Tagung fand dann ein Austausch mit Mitgliedern des Kammervorstandes (Dr. Dietrich Munz, Dr. Roland Straub) und des Ausschusses PTI (Dieter Schmucker) statt („Kammer im Gespräch“). Neben Informationen zur aktuellen Kammerarbeit (Themen wie Beteiligung an den kommunalen Gesundheitskonferenzen, Hinweis auf regionale Gliederung der Fachkommission bei Ver.di, Änderung Landeskrankenhausgesetz usw.) ging es u. a. um Fragen zum Nachweis und Relevanz der Fortbildungspunkte in Kliniken. Abschließend informierte der Vorstand zum Anliegen der Bundeskammer, im Kontext der geplanten Reform der Psychotherapeutenausbildung das zukünftige Berufsbild von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten bzw. die Berufsfelder neu zu beschreiben und bat hierfür um Mithilfe.

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