16.01.2014Immer mehr Neuroleptika für Minderjährige
Besonders starker Anstieg bei atypischen Antipsychotika

(BPtK) Immer mehr Kinder und Jugendliche werden mit Antipsychotika behandelt. Nach einer Analyse der Verordnungsdaten der BARMER GEK fordert eine Forschergruppe um Prof. Dr. Christian Bachmann von der Uniklinik Marburg eine kritische Ursachenanalyse und gegebenenfalls strengere Verschreibungsleitlinien. Denn Antipsychotika (synonym: Neuroleptika) haben gravierende Nebenwirkungen wie z. B. erhebliche Gewichtszunahme, Bewegungsstörungen, hormonelle und Herzrhythmusstörungen.

Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, denen Antipsychotika verschrieben wurde, ist zwischen 2005 und 2012 um 41,2 Prozent gestiegen. Bei den sogenannten atypischen Antipsychotika beträgt der Anstieg sogar 129 Prozent. Jede zweite Verordnung entfällt inzwischen auf das atypische Antipsychotikum Risperidon. Atypische Antipsychotika hätten nach Einschätzung der Wissenschaftler nur vermeintlich weniger Nebenwirkungen als die klassischen Antipsychotika. Auch die behauptete überlegene Wirksamkeit sei fraglich.

„Die BPtK kritisiert seit Langem, dass Psychopharmaka verordnet werden, wenn es dafür keine ausreichende Indikation gibt. Häufig werden Psychopharmaka auch statt Psychotherapie eingesetzt, weil es nicht genügend niedergelassene Psychotherapeuten gibt“, erklärt BPtK-Vorstand Peter Lehndorfer. „Es ist inakzeptabel, wenn bei Kindern und Jugendlichen aus diesen Gründen gesundheitliche Risiken in Kauf genommen werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss sollte die Verordnung von Antipsychotika bei Kindern und Jugendlichen ebenso einschränken, wie er es bei der Verordnung von Methylphenidat (Ritalin) bereits getan hat.“ Mit Blick auf die Nebenwirkungen und die unzureichenden Studien zur Wirksamkeit sollten Antipsychotika nur von Experten für Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen verordnet und die Therapie zudem sorgsam überwacht werden.

Die häufigsten mit der Verordnung von Risperidon verbundenen Diagnosen sind Hyperaktivität (61,5 Prozent) und Störungen des Sozialverhaltens (36,5 Prozent). Für Hyperaktivität ist Risperidon gar nicht, für Störungen des Sozialverhaltens nur dann zugelassen, wenn diese Kinder sehr aggressiv und darüber hinaus unterdurchschnittlich intelligent sind. Der größte Teil der Verordnungen erfolgt daher vermutlich „off-label“, also ohne dass diese Medikamente für diese Erkrankung zugelassen wären.

In einigen westlichen Industrieländern erhalten inzwischen bis zu zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen Antipsychotika. Im internationalen Vergleich belegt Deutschland hier mit 0,3 Prozent nur einen mittleren Rangplatz. Doch der Anstieg ist rasant. Ursachen vermuten die Autoren der Studie unter anderem im intensiven Marketing der pharmazeutischen Unternehmen und einer im Vergleich zur Psychotherapie schnelleren und einfacheren medikamentösen Behandlung.

Literatur: Bachmann, C. J. et al. (2014). Antipsychotika-Verordnungen bei Kindern und Jugendlichen. Deutsches Ärzteblatt, 111, 25 - 34.

 
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