Versicherte, die längere Zeit arbeitsunfähig sind und deshalb Krankengeld beziehen, sehen sich nicht selten von ihrer Krankenkasse unter Druck gesetzt. Sie erhalten nach Berichten der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) von ihren Kassen Anrufe, in denen sie dann zu hören bekommen: „Ach, im Hintergrund spielt das Radio – dann geht es Ihnen ja gar nicht so schlecht …“ oder „Jetzt stellen Sie sich doch nicht so an!“, „Gehen Sie wieder arbeiten!“. Einige Versicherte berichteten sogar, dass sie sich nicht mehr trauten, ans Telefon zu gehen, weil sie weitere Anrufe ihrer Krankenkasse befürchteten.
Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) fordert deshalb strengere Regeln darüber, welche Fragen Krankenkassen ihren Versicherten stellen dürfen. „Die Versicherten wissen häufig nicht, welche Rechte sie haben und was sie ihrer Krankenkasse mitteilen müssen und was nicht“, stellt BPtK-Präsident Prof. Dr. Rainer Richter fest und fordert deshalb, den Versichertenschutz durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz auszubauen. Krankenkassen wenden sich insbesondere dann an ihre Versicherten, wenn sie lange arbeitsunfähig sind und deshalb Krankengeld beziehen. Unter diesen Versicherten sind besonders viele psychisch kranke Menschen. Jeder fünfte Versicherte, der länger als sechs Wochen krankgeschrieben ist, ist psychisch krank.
„Es muss durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz präzise und einheitlich geregelt werden, welche Daten Krankenkassen von ihren Versicherten, die lange krankgeschrieben sind, zusätzlich zu den Daten erfragen dürfen, die ihnen aus der Routineversorgung zur Verfügung stehen“, fordert BPtK-Präsident Richter. Vor allem sollte künftig verglichen werden, wie die Krankenkassen mit ihren Versicherten umgehen, die längerfristig arbeitsunfähig sind. Dazu sollte das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen regelmäßig über die Beratungen der Kassen bei arbeitsunfähigen Versicherten und die Art und Weise, wie sie diese unterstützen, berichten. Das Institut sollte hierzu auch Versicherte befragen. „So könnten Versicherte die Wahl ihrer Krankenkasse auch davon abhängig machen, wie hilfreich diese ist, wenn sie längerfristig arbeitsunfähig werden“, betont BPtK-Präsident Richter. Außerdem sollten die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet werden, ihre Versicherten darüber zu informieren, dass ein Gespräch über ihre Arbeitsunfähigkeit absolut freiwillig ist und dass das Krankengeld nicht gekürzt oder gestrichen werden kann, wenn sie ein solches Gespräch ablehnen.
Grundsätzlich ist sinnvoll, psychisch kranke Menschen, die lange krank und arbeitsunfähig sind, über die ihnen zustehenden Leistungen des Gesundheitssystems zu informieren und ihnen dabei zu helfen, diese auch nutzen zu können, z. B. bei zu langen Wartezeiten auf eine Psychotherapie. Wesentliche Aufgabe der Krankenkassen ist es hierbei z. B. den Versicherten zu unterstützen, einen Behandlungsplatz zu finden oder den Übergang zwischen stationärer und ambulanter Behandlung möglichst reibungslos zu gestalten.
Aufgabe der Krankenkassen ist es dagegen nicht, in die Behandlung einzugreifen (z. B. durch Fragen zu Problemen am Arbeitsplatz, zu familiären Nöten und finanziellen Schwierigkeiten) oder kranken Versicherten zu raten, möglichst schnell an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Hat eine Kasse Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit, kann sie zur Klärung den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) einschalten. Sie selbst darf dies jedoch nicht eigenständig unter dem Vorwand der Beratung überprüfen. „Hier muss der Gesetzgeber einen Riegel vorschieben“, fordert BPtK-Präsident Richter.
Hintergrund Krankengeld: Unter dem Vorwand der „Beratung“ von lange arbeitsunfähigen Versicherten versuchen einige Kassen, ihre Ausgaben für Krankengeld kurzfristig zu verringern. Das Krankengeld ist eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, durch die ein Versicherter bei längerer Krankheit und Arbeitsunfähigkeit (ab sechs Wochen) finanziell abgesichert werden soll. Die Dauer der Krankengeldzahlungen ist begrenzt. Der Versicherte erhält Lohnersatz für insgesamt maximal 78 Wochen für dieselbe Krankheit innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren. Bei Arbeitnehmern beträgt das Krankengeld 70 Prozent des Bruttolohns, jedoch nicht mehr als 90 Prozent des Nettolohns. Krankengeld ist bei den gesetzlichen Krankenkassen ein beträchtlicher finanzieller Posten. Die Ausgaben für Krankengeld betrugen im Jahr 2013 9,76 Milliarden Euro. Sie sind damit seit 2005 um zwei Drittel gestiegen (Abbildung 1).
Weitere Informationen zum Krankengeldmanagement der Krankenkassen finden sich in der BPtK-Studie zur Arbeitsunfähigkeit 2015.