Psychotherapie ist Behandlungsmethode der Wahl
Prof. Dr. Christine Knaevelsrud von der Freien Universität Berlin führte fachlich in das Thema ein. Studien zufolge litten weltweit jeweils etwa 30 Prozent der Flüchtlinge an Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS). In Deutschland seien die Erkrankungsraten teilweise noch höher. Aber nicht nur die traumatischen Erfahrungen in den Heimatländern und auf der Flucht, sondern auch die Lebensbedingungen im Asylland führten dazu, dass Flüchtlinge psychisch erkrankten. Sammelunterkünfte, die Angst, abgeschoben zu werden, die eingeschränkte Gesundheitsversorgung und der fehlende Zugang zu Arbeit trügen dazu bei, dass sich psychische Erkrankungen verschlimmern oder sogar entwickeln. Knaevelsrud stellte dar, dass bei einer PTBS eine traumaadaptierte Psychotherapie die Behandlungsmethode der Wahl sei: "Das gilt selbstverständlich auch für Flüchtlinge." Darüber hinaus bräuchten Flüchtlinge in aller Regel weitere Unterstützung, vor allem psychosoziale und asylrechtliche Beratung.
Behandlungsnetzwerke für Flüchtlinge sind hilfreich
Sabine Lübben, niedergelassene Psychotherapeutin, stellte am Beispiel des Frankfurter Arbeitskreises Trauma und Exil (FATRA) vor, wie niedergelassene Psychotherapeuten in die multiprofessionelle Versorgung psychisch kranker Flüchtlinge eingebunden werden können. FATRA berate die Flüchtlinge und entscheide gemeinsam mit ihnen, ob eine Psychotherapie notwendig sei. Etwa jeder dritte Flüchtling entscheide sich für eine Psychotherapie und werde von FATRA an einen niedergelassenen Psychotherapeuten vermittelt. Auch nach der Vermittlung stehe FATRA als Ansprechpartner für die Psychotherapeuten zur Verfügung, um sie beim Antrag einer Psychotherapie zu unterstützen und z. B. Fragen zur interkulturellen Kompetenz und zur Arbeit mit Dolmetschern zu beantworten. Darüber hinaus helfe FATRA u. a. auch bei der Vermittlung von Begutachtungen von Traumafolgestörungen im Asylverfahren und schule Dolmetscher für die psychotherapeutische Behandlung.
Jedes fünfte Flüchtlingskind leidet unter einer PTBS
Cornelia Reher, therapeutische Leiterin der Flüchtlingsambulanz am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, ging auf die Besonderheiten bei minderjährigen Flüchtlingen ein. Studien zufolge leide etwa jedes fünfte Flüchtlingskind unter einer PTBS. Insgesamt etwa 40 Prozent der Flüchtlingskinder zeigten psychische Auffälligkeiten, vor allem Schlafstörungen und Albträume. Aber auch psychisch bedingte Kopf- und Magenschmerzen kämen häufig vor. Etwa jedes fünfte Kind in der Flüchtlingsambulanz sei suizidal und einige zeigten schwere Selbstverletzungen. Reher betonte, dass sich mit der Ankunft in Deutschland nicht automatisch das Gefühl einstelle, in Sicherheit zu sein. Wie bei Erwachsenen sei auch bei Kindern eine traumaadaptierte Psychotherapie die Behandlungsmethode der Wahl. In der Flüchtlingsambulanz ständen außerdem noch kunsttherapeutische Angebote sowie Sozial- und Bildungsberatung zur Verfügung. Manchmal könne zusätzlich eine medikamentöse Behandlung sinnvoll sein.
Asylbewerberleistungsgesetz ist ein "traumatisierendes Gesetz"
Dr. Zahra Mohammadzadeh, Leiterin des Referats Migration und Gesundheit im Gesundheitsamt Bremen, berichtete über das "Bremer Modell". Sie stellte klar, dass die Ausgabe einer Gesundheitskarte an Flüchtlinge ein wichtiger Aspekt des "Bremer Modells" sei. Das Herzstück aber sei eine aufsuchende medizinische Erstversorgung von Flüchtlingen kurz nach ihrer Ankunft in Bremen. Anhand von Diagnosestatistiken verdeutlichte Mohammadzadeh, dass psychische Erkrankungen bei diesen Erstuntersuchungen noch zu wenig berücksichtigt werden. Sie wies darauf hin, dass das "Bremer Modell" zwar einen niedrigschwelligen Zugang zur Gesundheitsversorgung ermögliche, aber auch Bremen weiterhin im Korsett der eingeschränkten Gesundheitsversorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) stecke. Das Gesetz blende psychische Erkrankungen aus. Mohammadzadeh bezeichnete dessen Paragraph 4, nach dem nur akute Erkrankungen und Schmerzen behandelt werden dürfen, als "traumatisierenden Paragraphen" und plädierte dafür, die Einschränkungen im AsylbLG aufzuheben.
Psychosoziale Zentren ermöglichen Hilfe aus einer Hand
Elise Bittenbinder, Vorsitzende der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF), berichtete, dass jährlich 10.000 Flüchtlinge Hilfe in den Zentren suchten. Etwa jeder Dritte dieser Flüchtlinge erhalte eine Psychotherapie. Mindestens acht von zehn dieser Psychotherapiepatienten benötigten zusätzlich Unterstützung, z. B. asylrechtliche Beratung sowie sozialarbeiterische Angebote. Die Zentren böten diese Versorgung aus einer Hand. Die Finanzierung der Zentren sei jedoch unsicher. "Es fehlt eine verlässliche strukturelle Finanzierung", kritisierte Bittenbinder. Die Zentren müssten z. B. den größten Teil der Psychotherapien aus Spendengeldern und Zuschüssen finanzieren. Die Wartelisten auf einen Behandlungsplatz seien deshalb lang und viele Flüchtlinge müssten abgewiesen werden. Die Pläne des Gesetzgebers, Ermächtigungen für psychosoziale Zentren zu ermöglichen, seien ein wichtiger Schritt, reichten aber nicht aus. Es bedürfe einer grundlegenden institutionellen Förderung der Komplexleistungen der Zentren.
Podiumsdiskussion
Gemeinsam mit Abgeordneten aller Bundestagsfraktionen diskutierten Dr. Dietrich Munz, Dr. Ulrich Clever, Elise Bittenbinder und PD Dr. Meryam Schouler-Ocak, Vertreterin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, darüber, was politisch getan werden müsse, um die Versorgungssituation für psychisch kranke Flüchtlinge zu verbessern.