Der am 10.12.2014 in Winnenden erstmals durchgeführte, von der Schulpsychologischen Beratungsstelle Backnang und der Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg gemeinsam organisierte Workshop zu Kooperationsmöglichkeiten zwischen Schule und Psychotherapeuten war aus Sicht der Veranstalter ein voller Erfolg. Insgesamt ca. 50 Schulpsychologen, Beratungslehrer und Psychotherapeuten nahmen an der Veranstaltung in der „Schule beim Jakobsweg“ in Winnenden teil und waren mehrheitlich ausgesprochen positiv angetan. Der Workshop war so gestaltet, dass in einem ersten Teil im Rahmen von Impulsreferaten ein kurzer Überblick gegeben wurde zu den jeweiligen Tätigkeitsfeldern und in einem zweiten Teil Zeit für die Diskussion der bestehenden und wünschenswerten Kooperationen bestand.
Wie kann die Kooperation zwischen System Schule und Psychotherapeuten gestaltet werden?
Kammerpräsident Dr. Dietrich Munz gab zunächst eine Einführung zur Tätigkeit der niedergelassenen Psychotherapeuten, insbesondere dazu, wann eine psychotherapeutische Behandlung indiziert ist und in welchem Kontext welche Finanzierungsmöglichkeiten bestehen. Ein grundsätzliches Problem bestehe darin, dass die Versorgungssituation in Baden-Württemberg hinsichtlich psychotherapeutischer Behandlungsplätze für Kinder und Jugendliche nicht ausreichend ist. Es gebe derzeit landesweit etwa 1200 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, von denen etwa die Hälfte in einer ambulanten Praxis niedergelassen ist. Im Rems-Murr-Kreis, dem Landkreis des Workshops, arbeiten etwas mehr als 60 Psychotherapeuten, davon sind etwa 15 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und weniger als 10 in ambulanter Praxis.
Dipl.-Psychologin Annette Maierhofer von der Schulpsychologischen Beratungsstelle Backnang moderierte den Workshop; sie hatte auch die Kooperation mit der Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg initiiert, aus der dieser Workshop entstanden war. Der Workshop wurde organisiert von den Team der Schulpsychologischen Beratungstelle Backnang (neben den Referentinnen die Schulpsychologinnen Dr. Eva Schwämmlein, Sabine Walther, Silke Sparwasser, Meike Dietrich sowie Heike Hufnagel von der Schulpsychologischen Beratungsstelle Tübingen).
Dipl.-Psychologin Daniela Schwitzer von der Schulpsychologischen Beratungsstelle Backnang ging einführend auf die übergeordnete Struktur der Bildungsberatung bzw. der Schulpsychologie in Baden-Württemberg ein. Neben 10 schulpsychologischen Beratungsstellen im Regierungspräsidium Stuttgart gebe es in den vier Regierungsbezirken Stuttgart, Karlsruhe, Tübingen und Freiburg Psychologische Schulberater sowie Beratungslehrkräfte an den Schulen. Im Rems-Murr-Kreis seien dies insgesamt 65 Beratungslehrer für alle Schularten. Die übergeordnete Stelle sei das Referat 56 „Prävention und Schulpsychologische Dienste“ des Kultusministeriums. Daniela Schwitzer führte aus, dass sich die Versorgungssituation der Schulpsychologie in Baden-Württemberg insbesondere nach dem Amoklauf in Winnenden deutlich verbessert habe. War Baden-Württemberg noch 2008 mit ca. 17.000 Schülern auf einen Schulpsychologen an drittletzter Stelle im Vergleich der Bundesländer, so habe sich die Relation auf ca. 1:8000 halbiert - im Vergleich zu den anderen Bundesländern nun im Mittelfeld. Landesweit gebe es aktuell ca. 250-300 Schulpsychologen. Daniela Schwitzer stellte im Anschluss daran die Beratungsstelle in Backnang vor und ging auf das Tätigkeitsfeld der Schulpsychologen ein. Ausgehend von den Grundsätzen für die Arbeit (freiwillig, vertraulich, allparteilich, kostenlos und keine Therapie) wurden die Aufgabenfelder skizziert. Diese umfassen Beratung, Fortbildung und Qualifizierung, Supervision und Coaching, Schulentwicklung und Prozessbegleitung, Projektmanagement, Entwicklung und Evaluation, Konfliktmanagement und auch Krisenintervention. Ansprechpartner sind neben Schülern und ihren Eltern auch Lehrkräfte, Beratungslehrer, Schulleitungen sowie auch die Schulaufsicht.
Im letzten Impulsreferat schließlich stellte Realschullehrerin Maria Linzbach, die als Beratungslehrerin tätig ist, die Rolle der Beratungslehrer vor. Nach Bewerberauswahl finde eine einjährige Ausbildung in Themenfeldern wie Gesprächsführung, Diagnostik und schulrelevanten Themen, wie z.B. Schullaufbahnberatung, Teilleistungsschwächen, Mobbing, Motivation etc. statt. Danach erfolge eine halbjährige Einarbeitungszeit und später regelmäßige Fortbildung sowie Fallbesprechungen mit Schulpsychologinnen und Schulpsychologen. Die Aufgabenfelder seien vielfältig, zusätzlich zu Beratungen von Schülern, Eltern und Kollegen seien Beratungslehrer Mitglied des schulischen Krisenteams und beim Aufbau von Kooperationen vor Ort (z.B. Schulsozialarbeit, Erziehungsberatungsstelle) bzw. mit Projekten zu unterschiedlichen Themen (z.B. Betreuung von Streitschlichtergruppen, Pädagogische Tage zu Schulabsentismus, Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten im Unterricht) aktiv.
In der anschließenden Diskussion – an der auch die Schulamtsleiterin des Staatlichen Schulamts in Backnang, Sabine Hagenmüller-Gehring, teilnahm – in kleinen, bzgl. der drei Berufsfelder jeweils gemischten Gruppen von ca. 8-12 Teilnehmern ergaben sich spannende und inhaltlich vielseitige Themen, deren Hauptergebnisse sich u.a. in folgenden Punkten widerspiegeln.
- Zunächst besteht v.a. seitens der Schule Informationsbedarf zu Symptomen/Auffälligkeiten bei psychischen Störungen und Erkrankungen wie z.B. Depression, Angststörungen (speziell Schulangst/Schulvermeidung), Selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität etc., ebenfalls z.B. zu Möglichkeiten der Psychotherapie bei oppositionellem Verhalten der Schüler. Außerdem zu Fragen, welche Wege es in die Psychotherapie gibt. Vorgeschlagen wurde hier u.a. auch die Gründung einer Therapeutenhotline oder das zur Verfügung stellen von Therapeuten-Listen (auch mit indikationsbezogenen Schwerpunkten).
- Als Formen der Kooperation bzw. des Austauschs wurden runde Tische vorgeschlagen, sowohl zwischen Psychotherapie und Schulpsychologie als auch unter Einbindung weiterer Professionen, z.B. Ergotherapie, Logopädie, Heilpädagogik. Präferiert wurde auch die direkte Kontaktaufnahme der Schulen mit örtlichen Psychotherapeuten, so wie das auch vielerorts schon geschieht.
- Kritisch diskutiert wurden Fragen der Schweigepflicht bzw. der Schweigepflichtsentbindung zwischen Schule und Therapeut sowie der Umgang mit personenbezogenen Informationen. Hierzu sollte es gemeinsam ausgearbeitete Vorschläge geben.
- Problematisiert wurde die Rhythmisierung bzw. der Rhythmus der Schule, damit zusammenhängend die Problematik der Freistellung der betroffenen Schüler vom Unterricht. Therapiezeiten müssen in den Ganztagsrhythmus der Schulen integriert werden, dabei wurde auch vorgeschlagen, die Psychotherapie näher an die Schulen oder sogar in sie hineinzubringen. Ein großes Problem dabei wird darin gesehen, dass das Schulsystem als „turbulent“ eingeschätzt wird, das ständigen Änderungen und Neuerungen unterworfen ist.
- Ein großes Problem sind die Wartezeiten auf Psychotherapie, d.h. auch die oft unzureichende regionale psychotherapeutische Versorgung. Hier sollten langfristig mehr ambulante Möglichkeiten vorhanden sein bzw. geschaffen, eine stationäre Behandlung sollte für Kinder und Jugendliche nur als eine „ultima ratio“ vorgesehen werden.
- Ein weiteres wichtiges Thema aus Sicht der Teilnehmer war das der Wiedereingliederung in die Schule nach Klinikaufenthalt und Abstimmungen während einer ambulanten Psychotherapie. Hier wäre ggf. ein Austausch bzw. eine Beratung zwischen Psychotherapeut und Schule – bei gegebener Schweigepflichtentbindung - förderlich. Darüber hinaus wird im Einzelfall der Kontakt mit dem Klassenlehrer als sinnvoll erachtet. Auch ist der Einbezug eines Beratungslehrers im Sinne eines Vermittlers denkbar.
- Und schließlich spielten in den Diskussionen „übergeordnete“ konzeptuelle Überlegungen eine Rolle: die Notwendigkeit der Entwicklung neuer Konzepte z.B. für schulnahe psychotherapeutisch Versorgungsmöglichkeiten, z.B. eine psychotherapeutisches Versorgungszentrum in Schulnähe, die Möglichkeit der Einbindung in die Gesundheitsstrategie Baden-Württemberg bzw. in die regionale Gesundheitskonferenzen oder eine Kooperation zwischen LPK und Schulpsychologie hinsichtlich der Erstellung von Ganztagskonzepten für Schulen.
Der von den Teilnehmern des Workshops vielfach geäußerte Wunsch der Fortführung solcher Veranstaltungen sowie ihre Ausweitung auf weitere Landkreise/Regionen wurden von den Organisatoren auf- bzw. mitgenommen. Ermutigt durch die sehr positive Resonanz werden bereits im Januar/Februar weitere Gespräche zwischen den Organisatoren sowie auch mit Schulpsychologen, die für ihren Kreis Interesse an einer Zusammenarbeit bekundet haben, geführt. Es ist also davon auszugehen, dass es auch 2015 entsprechende Veranstaltungen und Erweiterungen entsprechender Vernetzungen geben wird.
Kontakt:
Dr. Rüdiger Nübling
Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg
Referat Psychotherapeutische Versorgung und
Öffentlichkeitsarbeit
Jägerstr. 40, 70174 Stuttgart
Tel. (Durchwahl): 0711/674470-40
Telefonzentrale: 0711/674470-0