Mindestens die Hälfte der Flüchtlinge ist psychisch krank

BPtK-Standpunkt „Psychische Erkrankungen bei Flüchtlingen“

(BPtK)

Mindestens die Hälfte der Flüchtlinge in Deutschland ist psychisch krank. Meistens leiden sie unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (40 bis 50 Prozent) oder unter einer Depression (50 Prozent). Beide Erkrankungen kommen häufig gemeinsam vor. Flüchtlinge, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) erkranken, sind oft suizidal. 40 Prozent von ihnen hatten bereits Pläne, sich das Leben zu nehmen oder haben sogar schon versucht, sich zu töten. Auch bei Flüchtlingskindern in Deutschland sind Erkrankungen aufgrund traumatischer Erlebnisse besonders häufig. Jedes fünfte von ihnen ist an einer PTBS erkrankt. Das ist 15 Mal häufiger als bei Kindern, die in Deutschland geboren wurden. Dies sind die zentralen Inhalte des Standpunktes „Psychische Erkrankungen bei Flüchtlingen“, den die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) heute vorstellte.

Bei PTBS ist Psychotherapie die empfohlene Behandlungsmethode. Die alleinige Behandlung mit Medikamenten ist nicht ausreichend und medizinisch in der Regel nicht zu verantworten. Nur rund vier Prozent der psychisch kranken Flüchtlinge erhalten jedoch eine Psychotherapie. „Psychische Erkrankungen zählen zu den häufigsten Erkrankungen von Flüchtlingen. In aller Regel sind sie dringend behandlungsbedürftig“, stellt BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz fest. „Die ankommenden Flüchtlinge benötigen nicht nur eine Unterkunft und Lebensmittel, sondern auch eine medizinische Versorgung. Aber fast kein psychisch kranker Flüchtling erhält eine angemessene Versorgung. Die BPtK fordert deshalb dringend gesetzliche Änderungen sowie Ermächtigungen von Psychotherapeuten und Flüchtlingszentren, um eine leitliniengerechte Behandlung von psychisch kranken Flüchtlingen zu ermöglichen.“

Flucht und Trauma

Ereignisse, die als lebensbedrohlich oder als katastrophal erlebt werden und eine tiefe Verzweiflung verursachen, können zu einer schweren psychischen Erkrankung führen. PTBS tritt am häufigsten nach traumatischen Erlebnissen auf, die durch andere Menschen ausgelöst wurden („man-made-disaster“). Etwa die Hälfte der Menschen, die Opfer von Vergewaltigung, Krieg, Vertreibung und Folter wurden, leidet unter einer PTBS. Zu den häufigsten „man-made-disasters“, die von Flüchtlingen berichtet werden, gehören Beschuss mit Handfeuerwaffen und Granaten, Hunger und Durst (z. B. während einer Haft), Todesdrohungen und Scheinexekutionen, körperliche Folter, Stromschläge, sexuelle Erniedrigung und Vergewaltigung sowie auch das Miterleben von Hinrichtungen oder Vergewaltigungen.

Wer an einer PTBS erkrankt, erlebt die traumatische Situation immer wieder, meist als Alpträume oder als blitzartige Bilder oder filmartige Szenen (Flashbacks). Diese Erinnerungen werden so intensiv erlebt, als ob sich das Ereignis gerade tatsächlich wieder ereignete. Jesidische Frauen, die aus der Gefangenschaft des Islamischen Staates entkamen, erlebten während ihres Fluges nach Deutschland Flashbacks und Panikattacken mit Herzrasen, Atemnot, Schwindel und Todesängsten. Die Enge im Flugzeug löste Erinnerungen an die Gefangenschaft aus. PTBS-Kranke meiden deshalb Situationen, die Erinnerungen an die traumatischen Erlebnisse wachrufen können. Weitere Symptome einer PTBS sind eine starke Schreckhaftigkeit, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, emotionale Taubheit und Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen. „PTBS-Betroffene sind schwer psychisch krank“, erläutert BPtK-Präsident Munz. „Sie benötigen dringend eine Psychotherapie. Es ist beschämend, dass Menschen mit solch starken und schmerzenden psychischen Verletzungen fast nie eine angemessene Hilfe erhalten.“

Politische Forderungen

Nach der aktuellen EU-Aufnahme-Richtlinie muss Deutschland die spezielle Situation schutzbedürftiger Personen berücksichtigen. Zu diesen schutzbedürftigen Personen zählen auch Menschen mit psychischen Erkrankungen und Menschen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben. Die Richtlinie hätte bis zum Juli dieses Jahres umgesetzt werden müssen. Tatsächlich ist die Versorgung psychisch kranker Flüchtlinge in Deutschland weiterhin beschämend schlecht. Auch die Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes im März 2015 haben für psychisch kranke Flüchtlinge keine Verbesserung gebracht. Die BPtK fordert deshalb dringend, die Versorgung von psychisch kranken Flüchtlingen zu verbessern. Dafür bedarf es insbesondere qualifizierter Gutachter in den Sozialämtern, einer Ermächtigung von Flüchtlingszentren und psychotherapeutischen Privatpraxen zur Behandlung von Flüchtlingen sowie die Finanzierung von Dolmetscherleistungen.

Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz

Die Entscheidung, ob bei einem psychisch kranken Asylsuchenden in den ersten 15 Monaten seines Aufenthaltes in Deutschland eine Psychotherapie gewährt wird, dauert in den Sozialämtern häufig monatelang. Meist beurteilen Sachbearbeiter und Ärzte, die für psychische Erkrankungen weder aus- noch weitergebildet sind, ob eine Psychotherapie notwendig ist oder nicht. Dies führt häufig zu Fehleinschätzungen. Psychische Erkrankungen werden fälschlicherweise als nicht dringend behandlungsbedürftig beurteilt oder es wird eine medikamentöse Behandlung empfohlen, die nicht ausreicht. „Die Begutachtung und Gewährung von Psychotherapien nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist grob mangelhaft“, erklärt BPtK-Präsident Munz. „Ein Antrag auf Psychotherapie sollte zukünftig nur noch von qualifizierten Gutachtern geprüft werden.“ Aus Sicht der BPtK ist es außerdem nicht akzeptabel, dass Flüchtlingen eine medizinische Versorgung vorenthalten wird, die in Deutschland als notwendig erachtet wird, um kranke Menschen zu behandeln. Die Einschränkungen für Flüchtlinge im Asylbewerberleistungsgesetz sollten deshalb aufgehoben werden.

Ermächtigung von Flüchtlingszentren und Privatpraxen

Nach den ersten 15 Monaten können Flüchtlinge Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung beanspruchen. Damit haben psychisch erkrankte Flüchtlinge grundsätzlich Anspruch auf eine Psychotherapie. Ihre Behandlung findet zurzeit fast ausschließlich in Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer statt. Die dort tätigen Psychotherapeuten sind aber meist nicht berechtigt, mit der gesetzlichen Krankenversicherung abzurechnen. Dadurch bleiben Flüchtlinge auch nach den ersten 15 Monaten praktisch ohne Behandlung. Die BPtK fordert daher, Psychotherapeuten in Flüchtlingszentren und auch psychotherapeutische Privatpraxen zu ermächtigen, sodass sie die Behandlung von Flüchtlingen mit der gesetzlichen Krankenversicherung abrechnen können. Dies wäre aufgrund der Zulassungsverordnung für Ärzte möglich. „Die Behandlung von psychisch kranken Flüchtlingen wäre so schnell und unbürokratisch deutlich zu verbessern“, erläutert BPtK-Präsident Munz.  

Dolmetscher

Für Psychotherapien mit Flüchtlingen sind fast immer Dolmetscher notwendig. Bisher werden Dolmetscherleistungen selten von den Sozialämtern und überhaupt nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen. Die BPtK schlägt deshalb vor, das Asylbewerberleistungsgesetz so zu ändern, dass alle Flüchtlinge grundsätzlich Anspruch auf Dolmetscherleistungen haben, wenn diese für eine Krankenbehandlung notwendig sind.

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