Chronifizierung psychischer Erkrankungen verhindern – ambulante Psychotherapie stärken

Aktuelle Versorgungsstudie zur Lage der ambulanten Psychotherapien über Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V in Privatpraxen

(LPK BW)

 

Gemeinsame Pressemitteilung der Landespsychotherapeutenkammern

Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig-Holstein

Berlin / Hamburg / Stuttgart etc

Abschlussbericht - Download am Ende der Seite

Die gesundheitliche Versorgung psychisch erkrankter und psychotherapiesuchender Menschen, die gesetzlich krankenversichert sind, hat sich bezogen auf die Kosterstattung in den letzten zwei Jahren deutlich verschlechtert. Wie eine heute in Berlin vorgestellte Studie zeigt, lehnen die gesetzlichen Krankenkassen seit 2017, trotz gesetzlicher Verpflichtung, deutlich mehr Anträge auf Kostenerstattung von außervertraglichen Psychotherapien ab, als im Jahr 2016. Dies geht aus einer von zehn Landespsychotherapeutenkammern federführend von Dr. Rüdiger Nübling (LPK BW) und Karin Jeschke (PTK Berlin) erarbeiteten Versorgungsstudie zur aktuellen Lage der außervertraglichen ambulanten Psychotherapien in Privatpraxen hervor. Die Studie basiert auf einer Umfrage unter psychologischen PsychotherapeutInnen und Kinder- und JugendpsychotherapeutInnen im 1. Quartal 2018 mit einem Rücklauf von 2417 Teilnehmenden. Die Bewilligungsquote von Anträgen auf Kostenerstattung sank demnach bei den Befragten binnen eines Jahres von 81% auf 47%. Im Falle der Bewilligung von Anträgen sank der Umfang der genehmigten Therapiesitzungen durchschnittlich um knapp 25%. Die Bearbeitungsdauer der Anträge stieg von durchschnittlich 6,6 auf 8,4 Wochen (um 27%).

 

Versicherte werden von Krankenkassen bewusst falsch informiert

Wie aus der Studie weiter hervorgeht, wurden dabei viele Ablehnungen von den Krankenkassen falsch begründet. Etwa die Hälfte der Befragten berichtet, den PatientInnen sei mitgeteilt worden, Kostenerstattung sei nicht mehr erlaubt. 82% der Befragten berichten von Ablehnungen, die mit der Einführung von Terminservicestellen begründet wurden. Dadurch seien nun alle PatientInnen versorgt. Tatsächlich vermitteln diese Stellen probatorische Sitzungen, aber nicht zwingend Therapieplätze.

Krankenkassen nutzen komplizierte Regelungen aus, um psychisch kranken Menschen die Inanspruchnahme von psychotherapeutischen Leistungen zu erschweren. So sparen die Krankenkassen Kosten, statt den PatientInnen Wege zur Therapie zu zeigen und ihnen zu helfen.

 

Ziel: Versorgungsplanung – orientiert am Patientinnen- Bedarf (§ 13 Abs. 3 SGB V)

Michael Krenz, Präsident der Landespsychotherapeutenkammer Berlin, kommentiert: "Durch die restriktive Handhabung der Kostenerstattung für außervertragliche Psychotherapien verknappen Krankenkassen die ohnehin unzureichenden ambulanten Behandlungsmöglichkeiten für Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen." Heike Peper, Präsidentin der Psychotherapeutenkammer Hamburg ergänzt: "Wir fordern eine an den regionalen Versorgungserfordernissen orientierte Versorgungsplanung, die sich am konkreten Behandlungsbedarf der PatientInnen orientiert."

v.l.n.r.: Karin Jeschke, Dr. Rüdiger Nübling, Heike Peper und Michael Krenz

Unsere Forderung: Die Möglichkeiten „ambulanter vor stationärer“ Behandlung zeitnah fördern statt behindern

Die beteiligten Kammern fordern rasche Maßnahmen, um einer Chronifizierung psychischer Erkrankungen bei den PatientInnen vorzubeugen, für die eine Psychotherapieindikation aktuell gestellt ist, um einen schnellen Behandlungsbeginn „ambulant vor stationär“ zu gewährleisten. Der Gesetzgeber muss gewährleisten, dass gemäß § 13 Abs. 3 SGB V die Kostenerstattung für Psychotherapien in Privatpraxen von den Krankenkassen weiterhin bewilligt wird. Die gesetzlichen Krankenkassen sind dazu verpflichtet, eine erforderliche ambulante Psychotherapie außervertraglich im Wege der Kostenerstattung zu finanzieren, wenn die Sicherstellung der Behandlung im Rahmen der Vertragspraxen nicht gewährleistet werden kann. Voraussetzung ist die diagnostische Feststellung einer psychischen Erkrankung, bzw. das Vorliegen einer Störung mit Krankheitswert und die Indikationsstellung für eine ambulante Psychotherapie.

Für eine bessere PatientInnen-Versorgung dringend erforderlich ist nach Überzeugung der Psychotherapeutenkammern zudem die Aufhebung von Beschränkungen beim Jobsharing, bei Anstellungsverhältnissen in Praxen und bei der Nachbesetzung von (halben) Praxissitzen. Aktuell werden mögliche Kapazitätserweiterungen dadurch behindert.

Die gesetzlichen Krankenkassen finanzieren ambulante Richtlinien-Psychotherapie - also Verhaltenstherapie, tiefenpsychologischen Psychotherapie und Psychoanalyse - bei niedergelassenen TherapeutInnen in Vertragspraxen. Die ohnehin vielerorts nicht ausreichenden Kapazitäten für Richtlinienpsychotherapie in den Vertragspraxen werden durch die neu in die Psychotherapie-Richtlinie aufgenommenen Leistungen „Psychotherapeutische Sprechstunde“ und „Akutbehandlung“ weiter verknappt. Die verpflichtende Vermittlung von probatorischen Sitzungen über die Terminservicestellen seit 1.10.2018 verschärft diese Situation, da Vertragspraxen zeitliche Kapazitäten dafür freihalten müssen, auch wenn keine indizierte Anschlussbehandlung angeboten werden kann.

Rückfragen richten Sie bitte an Dr. Rüdiger Nübling (nuebling [at] lpk-bw.de (nuebling[at]lpk-bw[dot]de)).

Ärzteblatt PP 11/2018
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