Psychisch Kranke warten 142 Tage auf eine Psychotherapie

BPtK zur Befragung des GKV-Spitzenverbandes

(BPtK)

Lange Wartezeiten auf den Beginn einer Psychotherapie sind für viele Patient*innen eine tagtägliche Realität. Die durchschnittliche Wartezeit vom Erstgespräch bis zum Therapiebeginn beträgt durchschnittlich 142,4 Tage. Das zeigen die objektiven Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zu allen gesetzlich Krankenversicherten, die im 1. Quartal 2019 ihr Erstgespräch erhalten haben. Vierzig Prozent der Patient*innen, die im 1. Quartal ihr Erstgespräch hatten, konnten ihre Therapie frühestens im 3. Quartal 2019 beginnen, mehr als 10 Prozent sogar erst ein ganzes Jahr später (siehe Abbildung). „Die Daten des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV) sind schlichtweg falsch“, kritisiert Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK).

„Die Zeit vom Erstgespräch bis zum Therapiebeginn kann schon theoretisch nicht nur wenige Tage betragen, wie der GKV-SV behauptet“, erläutert BPtK-Präsident Munz. Durchschnittlich werden mit einer Patient*in zwei Sprechstundentermine durchgeführt, danach folgen mindestens zwei probatorische Sitzungen mit der Patient*in, ehe nach Antragstellung und Genehmigung durch die Krankenkasse eine Therapie begonnen werden kann. Bei Anträgen auf Kurzzeittherapie müssen die Krankenkassen innerhalb von drei Wochen über die Bewilligung entscheiden, bei der Langzeittherapie haben sie sogar bis zu fünf Wochen Zeit. „Der GKV-SV veröffentlicht hier Daten, von denen er wissen muss, dass sie nicht stimmen können“, stellt Munz fest.

Darüber hinaus ist die Datenbasis der Krankenkassen-Befragung viel zu klein. Weniger als ein Prozent der gesetzlich Krankenversicherten beginnt innerhalb eines Jahres eine psychotherapeutische Behandlung. Bei einer repräsentativen Befragung von 2.240 gesetzlich Versicherten wäre das lediglich bis zu 20 Patient*innen, die im letzten Jahr eine Psychotherapie begonnen haben. Eine solche Datenbasis erlaubt keine verlässlichen Aussagen.

Auch an anderen Stellen wird deutlich, dass es dem GKV-SV um Desinformation geht. So warten angeblich knapp 80 Prozent der Patient*innen, die eine Behandlung erhalten haben, weniger als vier Wochen auf ihr Erstgespräch. Um zu diesem Ergebnis zu kommen, hat der GKV-SV aber die Zeit von der Terminvereinbarung bis zum Erstgespräch erheben lassen. Die lange Wartezeit der Patient*innen liegt jedoch schon vor der Terminvereinbarung. Die entscheidende Frage lautete: Wie lange dauert es von der ersten Anfrage bei einer Psychotherapeut*in bis zum ersten Gespräch in der Sprechstunde? Weil Psychotherapeut*innen häufig für längere Zeit keinen freien Therapieplatz haben, arbeiten sie mit Wartelisten. Wenn nach Monaten ein Therapieplatz frei wird, die Patient*innen auf der Liste nach oben gerutscht sind, meldet sich die Psychotherapeut*in bei der Patient*in, um einen Termin für ein Erstgespräch auszumachen. Dann beträgt der Zeitraum zwischen Terminvereinbarung und Erstgespräch vielleicht nur Tage, die reale Wartezeit aber mehrere Wochen.

Grundlage der Berechnung der Wartezeiten sind die Abrechnungsdaten von rund 300.000 Versicherten, die im 1. Quartal 2019 in einer psychotherapeutischen Sprechstunde waren. In der Sprechstunde wurde von der Psychotherapeut*in eine psychische Erkrankung diagnostiziert und deshalb eine psychotherapeutische Behandlung empfohlen. 18,8 Prozent dieser Patient*innen begannen noch im gleichen Quartal mit der Behandlung, 10,6 Prozent erst im 1. Quartal 2020, also rund ein Jahr später. Durchschnittlich betrug die Wartezeit 142,4 Tage.

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