Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) hat am 12. Mai 2022 Dieter Best und Jürgen Doebert mit dem Diotima-Ehrenpreis der deutschen Psychotherapeutenschaft ausgezeichnet, um ihr Engagement bei der Integration der Psychotherapeut*innen in die vertragsärztliche Versorgung zu würdigen.
Diotima-Ehrenpreis an Dieter Best und Jürgen Doebert verliehen
„Ihr Blick ging von Anfang an über die Richtlinien-Psychotherapie hinaus“, stellte BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz in seiner Laudatio fest. Für beide sei es das grundlegende Ziel gewesen, Psychotherapeut*innen als direkte Ansprechpartner*innen für psychisch kranke Patient*innen in der ambulanten Versorgung zu integrieren. Dabei war ihnen die vertrauensvolle Kooperation mit den Vertragsärzt*innen ein zentrales Anliegen. Aus unterschiedlichen psychotherapeutischen Traditionen stammend und für verschiedene Verbände aktiv, engagierten sie sich mit großem Einsatz in der gemeinsamen Selbstverwaltung. „Beide haben von Beginn an die Integration des neuen Heilberufs in den Strukturen der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung entscheidend mitgeprägt“, erklärte BPtK-Präsident Munz.
„Gemeinsam vertraten sie selbstbewusst und mit Augenmaß die versorgungspolitischen und ökonomischen Interessen der Profession. Sie waren wesentliche Ideengeber für eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Rolle der Psychotherapeut*innen in der ambulanten Versorgung: von der Gestaltung der psychotherapeutischen Grundversorgung über die Reform der Psychotherapie-Richtlinie mit der Einführung der Sprechstunde und Akutbehandlung bis hin zur Erweiterung der Verordnungsbefugnisse von Psychotherapeut*innen.”
Erfolgsmittel sind Teamarbeit und Vertrauen
Beide Preisträger bedankten sich für die Auszeichnung und die langjährige Unterstützung, die sie durch Familie und Weggefährt*innen erfahren hatten. Jürgen Doebert zeichnete nach, wie wichtig nicht nur die Unterstützung durch die psychotherapeutischen Verbände, BPtK und Anwälte gewesen sei, sondern auch, dass Kritiker*innen trotz unterschiedlicher Auffassungen immer wieder das Gespräch mit ihnen gesucht hätten. Die Diotima-Preisträger betonten, dass ihr gemeinsames Wirken von einer vertrauensvollen und zuverlässigen Zusammenarbeit geprägt war und ihre Stärke darin bestand, dass sie immer als Team aufgetreten seien. „Ohne Vertrauen geht es nicht, da kann man sich noch so sehr bemühen“, konstatierte Dieter Best.
Einzug in das Haus der Vertragsärzt*innen
Prof. Dr. Ulrich Wenner, bis vor kurzem Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht, berichtete über die Mühen, Erfolge und Rückschläge beim Einzug der Psychotherapeut*innen in das „vertragsärztliche Haus“. Humoristisch fragte er, ob ihre Integration einer Hausbesetzung, anspruchsloser Zweck-WG oder guter Wohnpartnerschaft auf Dauer gleichkam. „Da das Haus der Ärzteschaft schon belegt gewesen sei, verblieb für die Psychotherapeut*innen lediglich der Einzug in das Souterrain mit der Aussicht, schönere Räumlichkeiten beziehen zu können, wenn der Ertrag psychotherapeutischer Leistungen steigen würde“, stellte Wenner fest. Die problematische Honorarentwicklung wurde noch 1999 durch das Urteil zum 10-Pfennig-Punktwert für genehmigungspflichtige, zeitgebundene psychotherapeutische Leistungen vom Bundessozialgericht (BSG) beendet. Diese grundsätzliche Honorargarantie galt nicht nur für die psychotherapeutisch tätigen Ärzt*innen, sondern – so stellte das BSG in einem zweiten Urteil klar – auch für die viel größere Gruppe der Psychotherapeut*innen. Diese beiden wichtigen Grundsatzurteile hätten auf längere Sicht zu einem guten und professionellen Kooperationsverhältnis zwischen Vertragsärzt*innen und Psychotherapeut*innen beigetragen, bilanzierte Wenner. Das Berechnungsmodell für den 10-Pfennig-Punktwert habe jedoch mit seinen begrenzt empirisch begründeten Annahmen viel Angriffsfläche geboten. Deshalb habe das BSG die Grundsätze der ersten Entscheidungen weiter verfeinern müssen und damit wiederholt auch Unverständnis und Enttäuschung bei den Psychotherapeut*innen ausgelöst.
Prof. Wenner beschrieb ferner noch ungelöste Aufgaben der Integration. Neben der mangelhaften Bedarfsplanung und der Frage, wer Anspruch auf eine bedarfsunabhängige Zulassung habe, sei es auch um die Notwendigkeit einer eigenen Facharztgruppe für Psychotherapeut*innen und deren Repräsentation durch ein KBV-Vorstandsmitglied gegangen. Hier seien Weiterentwicklungen gut vorstellbar. Kritisch merkte Wenner an, dass sich die Psychotherapeut*innen scheuten, auch die Verpflichtungen anzunehmen, die für andere Facharztgruppen in der vertragsärztlichen Versorgung selbstverständlich seien. Die psychotherapeutische Sprechstunde sei zwar seit 2017 über die Psychotherapie-Richtlinie vorgegeben. Aus seiner Sicht spräche aber auch nichts dagegen, wenn regelhaft drei zweistündige Intervalle pro Woche angeboten würden, in denen Patient*innen kurzfristig untersucht und behandelt werden könnten. Gleichsam wäre eine tägliche Erreichbarkeit der psychotherapeutischen Praxen wünschenswert. Die Chancen für eine bessere Ausrichtung des psychotherapeutischen Versorgungsangebots an den Bedürfnissen vieler Patient*innen sollte von der Profession genutzt werden.
Mit Blick auf die Kostenerstattung merkte Wenner an, dass diese normativ kein zweiter Versorgungsweg sei. Es sei legitim, wenn die Zulassung so gesteuert werde, dass tendenziell immer weniger Patient*innen diese in Anspruch nehmen könnten. Das bedeute aber auch, dass dort, wo vermehrt Behandlungen im Kostenerstattungsverfahren durchgeführt werden, Sonderbedarfszulassungen zu prüfen seien. Das BSG habe daher entschieden, dass die Krankenkassen auf Nachfrage den Zulassungsgremien anzugeben haben, in welchem Umfang sie im jeweiligen Bezirk trotz rechnerischer Überversorgung Kostenerstattung zugesagt haben.
Ironisch betrachtete er den neidischen Blick der Fachärzt*innen auf die Honorarentwicklung der Psychotherapeut*innen. Dass die psychotherapeutischen Kernleistungen sämtlich extrabudgetär vergütet und in der gesetzlichen Krankenversicherung sogar besser vergütet würden als bei Privatbehandlungen, müsse doch eine „Fake-News“ sein. Das Gutachten der Regierungskommission zu den beiden Gebührenordnungen habe ergeben, dass Radiologen beispielsweise für eine privatärztliche MRT-Untersuchung das Dreifache wie für eine vertragsärztliche bekämen. Mit den Psychotherapeut*innen tauschen habe dann doch keiner wollen.
Entwicklungsperspektiven sah Wenner hinsichtlich der Rechtsformen psychotherapeutischer Einrichtungen. Angesichts der auch bei Psychotherapeut*innen festzustellenden Neigung zur Anstellung seien die Medizinischen Versorgungszentren einer näheren Betrachtung wert. Ein Arbeitsverhältnis zu einer juristischen Person, deren Bestand von einzelnen personellen Wechseln unabhängig ist, verspreche im Vergleich zur Einzelpraxis oder Berufsausübungsgemeinschaft mehr Stabilität.
Podiumsdiskussion: „Wie wir wurden, was wir sind“
In der von Dr. Nikolaus Melcop, BPtK-Vizepräsident, moderierten Podiumsdiskussion, tauschten sich Dieter Best und Jürgen Doebert, Prof. Ulrich Wenner sowie Erika Behnsen, ehemalige Leiterin des Vertragsarztrechts im Bundesgesundheitsministerium, und psychiatrische Fachärztin Dr. Christa Schaff über die wichtigsten Weichenstellungen der vergangenen 25 Jahre und Herausforderungen in der Zukunft aus.
Dieter Best betonte, wie zentral die Geschlossenheit der psychotherapeutischen Verbände gewesen sei, um für psychotherapeutische Anliegen Gehör zu finden. Zu den wichtigen Weichenstellungen hätten die eigenen Gesprächsziffern für psychotherapeutische Leistungen und der Direktzugang zur Psychotherapie gehört. Die Möglichkeit der Patient*innen, sich ohne Umwege an eine Psychotherapeut*in zu wenden und beraten zu lassen, sei immer wieder infrage gestellt worden, etwa bei der Bedarfsplanungsreform und der Reform der Psychotherapie-Richtlinie 2017. In solchen politischen Auseinandersetzungen seien Durchhaltevermögen, klare Ziele, die richtigen Hebel und die Suche nach Verbündeten entscheidend für Erfolg oder Scheitern. Beunruhigt beobachte er, dass bis heute von den Krankenkassen und dem Bundesgesundheitsministerium Vorurteile gegen die Psychotherapeut*innen geschürt werden. Da helfe nur kontinuierliche Überzeugungsarbeit. Aktuell sei wichtig, dass die Ziele des Koalitionsvertrags umgesetzt würden. Bei der ambulanten Komplexversorgung müssten unnötige Hürden in der Richtlinie ausgeräumt werden. Die psychotherapeutische Weiterbildung müsse finanziert und auch die Gebührenordnungen für privatärztliche Leistungen (GOÄ/GOP) endlich reformiert werden. Die privaten Krankenkassen zahlten inzwischen bis zu 20 Prozent schlechter als die gesetzlichen Kassen. Er könne sich auch vorstellen, dass sich die Profession künftig stärker in der Versorgung somatischer Erkrankungen mit ihrer Kompetenz einbringe.
Jürgen Doebert lobte den Gesetzgeber, weil er mit den Beratenden Fachausschüssen in den Kassenärztlichen Vereinigungen den Dialog mit den Psychotherapeut*innen und damit deren Integration befördert habe. Unbestreitbar sei das 10-Pfennig-Urteil des BSG wegweisend gewesen. Die Nachzahlungen seien horrend, aber gerecht gewesen. Wichtig sei auch gewesen, dass sich die Psychotherapeut*innen aus der Beschränkung auf die Richtlinien-Psychotherapie befreit hätten. Allerdings habe man erst im Laufe der Zeit realisiert, dass ein eigenes Kapitel für die Vergütung psychotherapeutischer Leistungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab ein Meilenstein gewesen sei. In diese Struktur hätten dann weitere Leistungen eingebaut werden können.
Einen zentralen Beitrag zur Befriedung im vertragsärztlichen Haus sei sicherlich die extrabudgetäre Vergütung der psychotherapeutischen Leistungen gewesen. Die ambulante Komplexversorgung verstehe er als ein verbindendes Projekt zwischen Psychotherapeut*innen und Psychiater*innen, das auf Zusammenarbeit und Aufbau von Netzwerken ziele. Die „neurologisch-psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung“ in Nordrhein sei dafür ein wichtiger Vorläufer gewesen, dessen Erfolgskomponenten noch konsequenter in die neue Richtlinie übertragen werden müssten. Die Krankenkassen vermuteten dahinter stets nur zusätzliche Einnahmemöglichkeiten und torpedierten diese Entwicklungschancen. Ferner habe auch die Entwicklung zu halben Praxissitzen zu mehr psychotherapeutischen Behandlungsplätzen und dazu geführt, dass deutlich mehr Patient*innen versorgt werden könnten. Doebert appellierte abschließend an den psychotherapeutischen Nachwuchs: „Wir brauchen Kolleg*innen, die Verantwortung in den Kassenärztlichen Vereinigungen übernehmen, das Zusammenleben im vertragsärztlichen Haus pflegen und mit Besonnenheit für Gerechtigkeit kämpfen.“
Erika Behnsen stellte heraus, dass für die Integration der Psychotherapeut*innen einerseits die Verordnungskompetenz von Psychotherapeut*innen zentral gewesen sei. Andererseits habe die extrabudgetäre Vergütung psychotherapeutischer Leistungen die Verteilungskonflikte mit den Ärzt*innen befriedet. Gegenüber dem KBV-Vorsitzenden habe sie immer ihre neutrale Position deutlich gemacht und sich weder auf die Seite der Ärzt*innen noch der Psychotherapeut*innen gestellt. Verwundert habe sie jedoch, dass die Psychotherapeut*innen zwar in die vertragsärztliche Versorgung integriert werden wollten, anfangs jedoch Probleme damit gehabt hätten, die allgemeinen Regeln der Versorgung zu akzeptieren und eine Sprechstunde anzubieten. Von der Profession wünsche sie sich, dass Psychotherapeut*innen noch mehr in sozialen Brennpunkten arbeiteten und als gutes Vorbild für andere Facharztgruppen vorangingen, denn auch hier gebe es diese Unwuchten.
Dem stimmte Dr. Christa Schaff zu, Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin, Psychiatrie, Jugendpsychiatrie sowie Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin. Auch sie sah in der extrabudgetären Honorierung den Grundstein für die Befriedung zwischen den Professionen. Die Zusammenarbeit mit den Psychotherapeut*innen in den Fachausschüssen sei grundsätzlich positiv gewesen, auch wenn sich gerade die ersten fünf Jahre schwierig gestaltet hätten. Ab 2005 habe eine intensive Kooperation der Ärzt*innen mit den Psychologischen Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen begonnen, gerade auch in Fragen der Vergütung. Es sei gelungen, strukturelle Veränderungen zu bewirken, wie die Reform der Psychotherapie-Richtlinie. Allerdings habe die Kooperation ihr anfangs beinahe den Vorstandsposten im Verband gekostet, als die Vergütung der Richtlinien-Psychotherapie für Psychiater*innen zunächst nicht in derselben Höhe gewährleistet war, wenn diese nicht ausschließlich psychotherapeutisch arbeiteten. Dies habe sie als totale Entwertung der Psychiater*innen erlebt.
Bedauerlich sei, dass es nicht gelungen ist, die Qualitätssicherung in der Psychotherapie selbst zu regeln. Zukünftig wünsche sie sich mehr Vernetzung zwischen den Professionen. Dies könne am besten auf regionaler Ebene gelingen, wo eruiert werden müsse, wie die Ressourcen am besten eingesetzt und wer welche Fähigkeiten und Kompetenzen einbringen möchte, um die Versorgung sicherzustellen.
Prof. Dr. Ulrich Wenner unterstrich, dass nicht alles über den Gerichtsweg zu lösen sei. Bei der Anerkennung von Behandlungsverfahren hätte sich gezeigt, dass es innerhalb der Selbstverwaltung auf eine gute wissenschaftliche Vorbereitung ankäme. Die Vergütungsfrage hätte die Selbstverwaltung allerdings nicht selbst lösen können, dafür sei das 10-Pfennig-Urteil des BSG notwendig gewesen. Im Vorfeld dieses Urteils habe es ein konstruktives Gespräch mit dem Bundesverfassungsgericht gegeben. Es sei klar gewesen, dass das Ergebnis eine bessere finanzielle Situation der Psychotherapeut*innen sein musste. Das BSG habe dabei die Linie klarer vorgeben können, als es dem Bundesverfassungsgericht möglich gewesen wäre.
Kritisch hätte er die Auffassung der Psychotherapeut*innen betrachtet, die von einer Eigengesetzlichkeit ihrer Praxis überzeugt gewesen seien. Diese Eigengesetzlichkeit entfaltete sich innerhalb den normativen Vorgaben des Gesetzgebers. Dessen Regelungen seien von den Psychotherapeut*innen nicht immer gut aufgenommen worden. Hier habe man die Profession teils zum Jagen tragen müssen. Der Notwendigkeit einer schnelleren und besseren Erreichbarkeit könne sich die Profession auch in Zukunft nicht entziehen. Bei künftigen Reformen der Versorgungsstrukturen müssten die Psychotherapeut*innen eine zentrale Rolle einnehmen, zum Beispiel bei den Gesundheitskiosken. Sorge bereite ihm das strukturelle Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung. Auch jenseits der aktuellen Krisen könnten die Ausgaben nicht aus den Einnahmen finanziert werden.