Serotonin-Hypothese greift zu kurz

Chemisches Ungleichgewicht reicht als Erklärung einer Depression nicht aus

(BPtK)

Ein hoher oder niedriger Gehalt des Botenstoffs Serotonin im Gehirn hat keinen Effekt darauf, ob eine Depression vorliegt oder nicht. Die Serotonin-Aktivität am Rezeptor ist bei den meisten gesunden und depressiven Menschen gleich, bei einem kleinen Anteil der depressiven Patient*innen sogar höher. Ein künstlich hervorgerufener Serotonin-Mangel, zum Beispiel durch spezielle Diäten, verursacht zudem keine depressiven Symptome. Das sind die Ergebnisse einer neuen Überblicksstudie, die die Ergebnisse von 17 zusammenfassenden Studien auswertete. Danach greift die sogenannte Serotonin-Hypothese aus den 1960er-Jahren zu kurz, die depressive Symptome, wie Niedergeschlagenheit oder Antriebslosigkeit, auf einen Mangel an Serotonin im Gehirn zurückführt. Die Hypothese wird in den letzten Jahrzehnten in Fachkreisen zunehmend angezweifelt. Die neuen Befunde stellen damit auch den klinischen Nutzen von Antidepressiva infrage. Diese zielen darauf ab, Depressionen durch eine Beeinflussung des Stoffwechsels von Serotonin und anderen Botenstoffen zu behandeln. Antidepressiva wirken vor allem bei weniger stark ausgeprägter depressiver Symptomatik oft nur geringfügig.

Serotonin ist ein Botenstoff, der von einer Nervenzelle zur anderen Informationen weitergibt. Es kann sich an verschiedene Rezeptoren auf der Oberfläche verschiedener Zellen im Körper binden. Jeder Serotonin-Rezeptor führt zu einer anderen Reaktion im Körper. So steuert das Serotonin viele unterschiedliche Prozesse. Im zentralen Nervensystem etwa ist das Serotonin ein wichtiger Botenstoff, der unterschiedlichste Prozesse beeinflusst: Körpertemperatur, Appetit, Emotionen, das Belohnungssystem, Stimmung und Antrieb, Bewusstseinslage und Schlaf-Wach-Rhythmus sowie Schmerzbewertung.

Die neue Studie bietet keine alternative Erklärung für die Entstehung von Depressionen an. Führende Expert*innen sind sich aber darin einig, dass eine Depression meist eine komplexe Erkrankung mit mehreren Ursachen ist, die auf ein wechselseitiges Zusammenwirken von Genen, negativen Lebensereignissen und veränderten Gehirnfunktionen zurückgeht.

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