»Diskriminierung, Antisemitismus und Rassismus sind kein situatives, sondern ein strukturelles Problem in unserer Gesellschaft“, sagte Dr. Andrea Benecke, Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), zur Eröffnung des BPtK-Fachtages zum Thema „Antisemitismus und Rassismus: Diskriminierung in der Psychotherapie“ am 8. Oktober 2024.
Der Fachtag bildete den Auftakt für die Auseinandersetzung und Reflexion innerhalb der Profession und ist Teil der von der BPtK initiierten Antidiskriminierungsstrategie. Denn auch Psychotherapeut*innen müssen ihren Beitrag leisten, Diskriminierung in der Gesundheitsversorgung abzubauen und Chancengerechtigkeit zu ermöglichen.
Gegenstand des Fachtags war es, gemeinsam mit Expert*innen die Zusammenhänge von Diskriminierungserfahrungen und damit verbundenen Risiken für die psychische Gesundheit und Implikationen für eine diskriminierungssensible Psychotherapie zu diskutieren.
Diskriminierung und psychische Gesundheit
Prof. Dr. Ulrike Kluge, Leiterin des Zentrums für Interkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie (ZIPP) und des Forschungsbereichs Interkulturelle Migrations- und Versorgungsforschung an der Charité - Universitätsmedizin Berlin, beleuchtete in ihrem Vortrag die Auswirkungen von Diskriminierung auf die psychische Gesundheit der Menschen. Sie legte dar, dass Rassismus und Diskriminierung das Risiko für psychische Erkrankungen erhöhen, unter anderem für Psychosen.
Kluge verwies in diesem Zusammenhang auf eine Studie, die vom Zentrum für Interkulturelle Psychiatrie & Psychotherapie der Charité durchgeführt wurde. Erste Ergebnisse deuteten darauf hin, dass Patient*innen mit Migrationsgeschichte mit Blick auf die klinische Versorgung und die Bereitschaft der Behandelnden, Ressourcen zu investieren, ungleich behandelt werden. Sie unterstrich, dass diskriminierungssensibler Umgang fest in Aus-, Fort- und Weiterbildung verankert werden müsse. Da die Sprachbarriere das größte Hindernis bei der Versorgung von Menschen mit Migrationsgeschichte darstelle, komme dem Einsatz von Sprachmittler*innen im Gesundheitswesen eine enorme Bedeutung zu. Die Finanzierung der Sprachmittlung in der Gesundheitsversorgung sei deshalb von zentraler Bedeutung, um den Zugang zur Versorgung zu ebnen.
Sprechstunde für Betroffene von Antisemitismus
Dina Dolgin, Psychologische Psychotherapeutin, tätig in der Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA) und dem Zentrum für Interkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie (ZIPP) der Charité - Universitätsmedizin Berlin, gab in ihrem Vortrag Einblicke in das Angebot der Sprechstunde für von Antisemitismus Betroffene. Nach dem terroristischen Anschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023 in Israel sei ein massiver Anstieg von Antisemitismus in Deutschland zu beobachten. Die verzeichneten Anfeindungen seien breiter und gewalttätiger geworden. Vor diesem Hintergrund war die Sprechstunde der Charité im Oktober 2023 ins Leben gerufen worden, um dem erhöhten Beratungsbedarf Rechnung zu tragen. Die Ratsuchenden berichteten unter anderem von Gefühlen von Bedrohung, dem Rückzug aus dem öffentlichen Raum, dem Gefühl sozialer Isolation und fehlendem Verständnis im sozialen Umfeld. Sie litten unter anderem an Ängsten, Schlafstörungen sowie Symptomen Posttraumatischer Belastungsstörungen und Depressionen.
Wie umgehen mit Antisemitismus in der Psychotherapie?
Die Psychoanalytikerin Prof. Dr. Ilka Quindeau, Professorin an der Frankfurt University of Applied Sciences und Fellow am Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, konstatierte, dass Antisemitismus als grober und gewaltbereiter, aber auch alltäglicher und unscheinbarer in der Gesellschaft bestehe. Der alltägliche Antisemitismus zeige sich auch bei Menschen, die sich selbst frei von antisemitischen Gedanken wähnen. An dieser Stelle, so Quindeau, müsse man im Rahmen der Selbstreflexion ansetzen, um sich selbst bezüglich eigener blinder Flecken zu hinterfragen. Quindeau beschrieb eine psychoanalytische Perspektive auf Antisemitismus und den psychoanalytischen Umgang mit antisemitischen Äußerungen in der Therapie.