So wenig Corona wie möglich

Erfahrungsbericht 5: Oleg Winterfeld, Psychotherapeut in der beruflichen Integration

(BPtK)

Mit diesem Ablenkungseffekt hatte das Reha-Team für berufliche Integration gar nicht gerechnet. Das neue Online-Angebot der Rheinhessen-Fachklinik Alzey hatte die Teilnehmer*innen eher in eine Computerkrise als in eine Coronakrise gestürzt. Nicht jeder von ihnen war technisch ausreichend auf den Ortswechsel vom Kursraum in die eigenen vier Wände vorbereitet gewesen. Das Online-Programm war eine schnell und pfiffig umgesetzte Alternative zu den täglichen Kursen des ambulanten beruflichen Reha-Angebots gewesen. Doch an die Cloud, in der alles in einem eigenen Ordner abrufbereit lag, musste jede Teilnehmer*in erst einmal herankommen.

Seither stellt das Reha-Team täglich Arbeitsaufträge ins Netz, die heruntergeladen und ausgeführt werden sollen. „Um eine Tagesstruktur aufrechtzuerhalten, senden wir morgens bis 10 Uhr eine E-Mail mit Aufgaben, die bis 16:30 Uhr erledigt werden sollen“, berichtet Oleg Winterfeld, der Psychologische Psychotherapeut im Team, dem auch ein Psychologe, eine Sozialarbeiterin, eine Fachkraft für Berufs- und Arbeitspädagogik, ein studentischer Mitarbeiter sowie zahlreiche Honorarkräfte aus der Erwachsenenbildung angehören.

Das berufliche Reha-Angebot der Alzeyer Klinik richtet sich an Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen und hilft ihnen, wieder ins Berufsleben zurückzufinden. Das Online-Programm soll die Zeit der Coronakrise überbrücken, in der die Kurse vor Ort nicht mehr möglich sind, und vor allem eins verhindern: dass die Teilnehmer*innen zu stark ins Grübeln kommen. „Unser Motto lautet: So wenig Corona wie möglich“, erzählt Oleg Winterfeld. „Die erste Woche haben wir noch sehr viel telefoniert. Die Teilnehmer*innen riefen an und ließen sich zur Technik beraten. Ab der zweiten Woche waren wir wieder in der Lage, unser vollständiges Beratungsangebot für psychologische, sozialrechtliche, berufliche Angelegenheiten anzubieten.“

Ein großer Teil der Teilnehmer*innen war in guter psychischer Verfassung. Einige mussten allerdings die Praktika, die zum Programm der beruflichen Integrationsmaßnahme gehören, abbrechen, weil auch die Betriebe schlossen. „Einige stürzte dies wieder in Existenzängste und die Furcht, erneut in der Arbeitslosigkeit zu landen“, berichtet der Psychotherapeut. „Das mussten wir auffangen. Bei anderen hocken sich gerade alle in der Familie sehr eng auf der Pelle. Für einige bestehen jetzt zu wenig Rückzugmöglichkeiten.“

Mit der Idee, das Kursangebot zu digitalisieren und online anzubieten, schuf das Reha-Team für die Teilnehmer*innen jeden Tag einen Start- und Endpunkt. Zum Angebot gehören Arbeitsblätter sowie Audio- und Videodateien. Damit die Teilnehmer*innen auch untereinander in Kontakt bleiben können, informierte das Team über verschiedene Videokonferenzsysteme und bot die Möglichkeit, diese auszuprobieren. „Wir wollen erreichen, dass unsere Teilnehmer*innen auch in der erzwungenen Vereinzelung noch die vertrauten Gesichter sehen“, erklärt Oleg Winterfeld. „Bei unseren Videos, die wir zum großen Teil selbst produzieren, treten wir möglichst authentisch und humorvoll auf, nehmen uns auch selbst auf die Schippe, um die Verbundenheit zu stärken.“ Außerdem beginnt und endet jede Woche mit einer Achtsamkeitsübung.

Dabei darf der Schutz des Reha-Teams nicht zu kurz kommen. „Wir haben jetzt feste Arbeitsplätze und Telefone und arbeiten in getrennten Büros oder stellen einen 2-Meter-Abstand sicher“, berichtet Oleg Winterfeld. „Die Produktion und Bearbeitung der Materialien frisst mehr Zeit als erwartet, die Arbeitsbelastung ist dadurch momentan sogar höher als bei den Präsenzangeboten – Ich arbeite zum Teil 50 Stunden die Woche. Zum Glück haben wir ein sehr engagiertes Team.“

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