Internetprogramme zur Leistung für alle Versicherten machen

BPtK-Patienten-Checkliste für Internetpsychotherapie

(BPtK)

Internetprogramme zur Prävention und Behandlung psychischer Erkrankungen erfordern mindestens die gleiche Sorgfalt wie Behandlungen im unmittelbaren Gegenüber in einer Praxis oder einem Krankenhaus. Diagnostik und Aufklärung müssen grundsätzlich im unmittelbaren Kontakt zwischen Psychotherapeut und Patient erfolgen. Wirksame Internetprogramme sollten zur Regelleistung für alle Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung werden. Sie sollten deshalb als Medizinprodukt geprüft und zugelassen werden sowie von Psychotherapeuten und Fachärzten zu verordnen sein. Das fordert die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) in einem Grundsatzpapier zu "Internet in der Psychotherapie". Patienten sollten sich an einen Psychotherapeuten wenden, wenn sie sich unsicher sind, wie ein Internetprogramm einzuschätzen ist. Außerdem hat die BPtK eine Checkliste entwickelt, mit der Patienten Internetprogramme für psychische Beschwerden und Erkrankungen einer ersten kritischen Überprüfung unterziehen können. "Jedes Programm sollte zumindest die Antworten auf die Fragen dieser Checkliste bieten", erläutert BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz. "Ist dies nicht möglich, sollte ein Patient die Finger davon lassen."

Grenzen der Internetprogramme

Behandlungen psychischer Erkrankungen, bei denen sich Psychotherapeut und Patient nicht mehr von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzen, bergen Risiken, die die Gesundheit des Patienten gefährden können. "Bei den meisten Internetprogrammen fehlt ein zentrales Instrument, mit dem Psychotherapeuten das seelische Befinden ihrer Patienten einschätzen: der vollständige Eindruck und die körperliche Präsenz vom Patienten im unmittelbaren Gegenüber", erklärt BPtK-Präsident Munz. Selbst bei Video-Telefonaten ist der audiovisuelle Eindruck auf einen Kameraausschnitt eingeschränkt. Der Psychotherapeut kann nicht sehen: Wie kommt der Patient in den Raum? Wie bewegt er sich? Wie sitzt er? Der Therapeut kann z. B. suizidale Motive des Patienten nicht ausreichend über Mimik, Gestik, Körperhaltung und Stimmlage des Patienten einschätzen. In Krisensituation kann er meist nur eingeschränkt reagieren. Der Patient kann einen Kontakt per Mausklick abbrechen.

Diagnostik und Indikationsstellung

Grundlage für jede psychotherapeutische Behandlung ist eine fachgerechte Diagnostik und Indikationsstellung. Für eine fachgerechte Diagnose ist grundsätzlich ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht unerlässlich, weil meist nur so ein ausreichender Eindruck vom Befinden des Patienten möglich ist. So sind z. B. bei psychotischen Störungen Kommunikation und Denken und oft auch die Krankheitseinsicht des Patienten so stark beeinträchtigt, dass eine Diagnose per Internet fahrlässig ist. Bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen sind besondere Anforderungen an die Diagnostik, Kommunikation und Sorgfaltspflichten zu stellen. Es ist zu beachten, wie alt die Kinder und Jugendlichen sind, ob sie in der Lage sind, altersgemäß zu kommunizieren, oder ob Vorerkrankungen vorliegen, z. B. Internetsucht.

Aufklärung und Einwilligung des Patienten

Auch Aufklärung und Einwilligung in die Behandlung erfordern grundsätzlich einen unmittelbaren Kontakt des Psychotherapeuten mit dem Patienten. Nur so kann der Psychotherapeut ausreichend sicherstellen, dass der Patient verstanden hat, in welche Behandlung er einwilligt. Deshalb gehört es zu den wesentlichen berufsrechtlichen Pflichten der Psychotherapeuten, Patienten mündlich vor der Behandlung aufzuklären, und zwar in einer Art und Weise, die der individuellen Befindlichkeit und Aufnahmefähigkeit des Patienten angemessen ist. Bei Minderjährigen, die noch nicht selbst über eine Behandlung entscheiden können, müssen auch die Eltern oder andere Sorgeberechtigte aufgeklärt werden. Sie müssen ausdrücklich der Behandlung zustimmen.

Therapieüberwachung und Notfallplan

Zu den psychotherapeutischen Sorgfaltspflichten gehört es ebenfalls, den Verlauf der Behandlung zu überwachen, um beispielsweise Suizide und Selbstverletzungen des Patienten verhindern zu können und konkrete Hilfe anzubieten. Für den Fall, dass es dem Patienten zwischenzeitlich schlechter geht, sollte mit ihm abgesprochen sein, was er machen oder an wen er sich wenden kann. Dazu gehört, dass er z. B weiß, wie sein Psychotherapeut im Notfall zu erreichen ist oder an welches Krankenhaus er sich wenden kann.

Vertraulichkeit der Kommunikation und Datenschutz

Für die psychotherapeutische Behandlung ist es unbedingt erforderlich, insbesondere E-Mail-Kommunikation und Video-Telefonate auf dem technisch höchsten Standard zu verschlüsseln und vor Ausspähen und Abfangen von Daten zu schützen. Ohne eine geschützte Internetverbindung kann ein Psychotherapeut die notwendige Vertraulichkeit nicht gewährleisten. Auch bei Internetprogrammen mit standardisierten Fragen und Antworten ist Datenschutz auf technisch höchstem Niveau notwendig. "Patienten sollten detailliert darüber informiert werden, welche Daten wie und wo erhoben und gespeichert werden, wie sie diese einsehen, weiterverwenden und löschen lassen können", fordert BPtK-Präsident Munz. "Grundsätzlich ist anzustreben, dass die Patienten selbst die Verfügungshoheit über die von ihnen erhobenen Daten haben und kontrollieren können, wer in Patientendaten Einblick erhält. Jedem Patienten muss klar sein, dass selbst bei hohen Standards der Datensicherheit ein absoluter Schutz der Daten über seine psychische Gesundheit nicht möglich ist."

Wirksame Internetprogramme gehören in die Regelversorgung

Aktuell nutzen viele Krankenkassen Internetprogramme für psychische Erkrankungen, um sich von ihren Wettbewerbern zu unterscheiden. Das führt dazu, dass viele Internetprogramme nur für die Versicherten der jeweiligen Krankenkasse verfügbar sind. Dies ist mit den Grundsätzen einer gesetzlichen Krankenversicherung nicht vereinbar. Bei Arzneimitteln wäre es undenkbar, dass eine Kasse einen Wirkstoff exklusiv ihren Versicherten zur Verfügung stellen kann. Eine der zentralen sozialpolitischen Errungenschaften der gesetzlichen Krankenversicherung ist der einheitliche Leistungskatalog, auf den jeder Versicherte Anspruch hat und nach dem er alles erhalten soll, was ausreichend, zweckmäßig und notwendig ist. Nachweislich wirksame Internetprogramme müssen allen Versicherten auf Kosten der Krankenkassen zur Verfügung gestellt werden können.

Zulassung als Medizinprodukt

Die BPtK fordert, Internetprogramme für Prävention und Behandlung psychischer Erkrankungen als Medizinprodukte zu prüfen und zu zertifizieren. Die Zulassung sollte, anders als bisher, nicht über unterschiedliche private Anbieter, sondern durch ein finanziell unabhängiges Institut, wie beispielsweise das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, erfolgen. Das Institut muss für diese Aufgabe der Prüfung von medizinischer Software über ausreichend fachliche und personelle Ressourcen verfügen.

Verordnung von Internetprogrammen

"Wirksame Internetprogramme müssen künftig durch Psychotherapeuten und Fachärzte verordnet werden können", fordert BPtK-Präsident Munz. Dazu müssen diese Medizinprodukte in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen werden. In dem Verzeichnis ist eine neue Produktgruppe zu schaffen. Für diese müssen Mindestanforderungen an die Qualität der Produkte festgelegt werden. Wird ein Medizinprodukt verordnet, übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die Nutzung solcher Programme durch ihre Versicherten. Dazu sollten auch die Kosten für gemietete Lesegeräte der elektronischen Gesundheitskarte gehören, die notwendig sind, um einen ausreichenden Datenschutz zu gewährleisten, wenn Internetprogramme genutzt werden.

Datenschutz und Telematikinfrastruktur

Die BPtK fordert, in der Telematikinfrastruktur für das deutsche Gesundheitswesen Anwendungen zu ermöglichen, mit denen Patienten und Psychotherapeuten sicher miteinander kommunizieren können. Mit dem elektronischen Heilberufsausweis und der elektronischen Gesundheitskarte stehen in naher Zukunft Authentifizierungsinstrumente mit sehr hohen Verschlüsselungsstandards zur Verfügung. Alle Internetprogramme, die bei der Prävention und Behandlung psychischer Erkrankungen eingesetzt werden, müssen über mindestens so hohe Standards der Datensicherheit verfügen wie die Telematikinfrastruktur selbst. Diese Standards müssen auch bei der Nutzung von Gesundheits-Apps auf Smartphones und Tablets sichergestellt werden.

BPtK-Checkliste für Patienten

Patienten sollten Internetprogramme für psychische Beschwerden und Erkrankungen kritisch hinterfragen. Häufig fehlen wichtige Informationen, um die Qualität und Datensicherheit der Programme beurteilen zu können. Bei einigen Programmen handelt es sich um Präventionsangebote, z. B. zur Stressreduktion, andere wurden gezielt zur Behandlung psychischer Krankheiten entwickelt. Einige Programme sind ohne Login von jedem zu nutzen, für andere muss der Nutzer ein Versicherter der jeweiligen Krankenkasse sein. Unklar bleibt oft die Qualifikation der Berater oder Behandler, die für die individuelle Unterstützung der Versicherten zuständig sind. Es ist nicht sichergestellt, dass sie Psychotherapeuten oder Ärzte sind. Ebenso wenig ist eine fachgerechte Diagnostik und Indikation gewährleistet. Viele Internetprogramme für psychische Beschwerden und Erkrankungen sind deshalb von Patienten nicht verlässlich einzuschätzen. Deshalb empfiehlt die BPtK Patienten, sich genau zu informieren, welche Programme empfehlenswert sind und welche nicht. Am sichersten können sich Patienten dann sein, wenn diese Programme in einer Behandlung durch einen Psychotherapeuten gezielt eingesetzt werden.

Die BPtK stellt Patienten eine Checkliste zur Verfügung, mit der sie Internetangebote in einem ersten Schritt kritisch prüfen können. Dazu gehören insbesondere Fragen, ob ein Anbieter von Internetprogrammen ausreichend über sein Angebot informiert und den Datenschutz sicherstellt. Fehlen wesentliche Angaben, sollte ein Verbraucher das Programm nicht nutzen.

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