„Der Schutzraum der Praxis fehlt“

Erfahrungsbericht 2: Dr. Natalia Erazo, Praxis für Psychotherapie und Psychoanalyse

(BPtK)

Die Bundespsychotherapeutenkammer setzt die Serie mit Berichten von Psychotherapeut*innen aus dem Alltag der Coronakrise fort. Heute beschreibt die niedergelassene Psychotherapeutin Dr. Natalia Erazo ihre ersten Erfahrungen mit der Videobehandlung.

„Der Schutzraum der Praxis fehlte. Die Patientin saß in ihrem Wohnzimmer. Die Leitung für das Online-Videogespräch stand und die Kamera der Patientin war eingerichtet. Der Ton rauschte zwar noch, aber das war auf die Schnelle nicht zu ändern. Aber etwas anderes fiel mir in diesem Moment erst auf“, erinnert sich Psychotherapeutin Dr. Natalia Erazo. Unübersehbar war, dass sich die Patientin in ihrer privaten Umgebung befand, nicht in der Praxis. „Das war doch eine Veränderung in der Behandlung, die nicht unerheblich ist“, erklärt Natalia Erazo. Die Praxis ist der besondere Raum für die psychotherapeutischen Gespräche. Das beinhaltet an die Patient*in auch die Botschaft: „Wir können hier persönlichere Gespräche führen als irgendwo sonst und die Psychotherapeutin, die Ihnen gegenübersitzt, passt auf Sie auf, wenn Sie sich öffnen und von Dingen erzählen, die Sie schmerzen, beschämen oder tief traurig machen.“ Wenn die Patient*in die Praxis kommt, betritt sie einen Raum, der für sie nicht alltäglich ist, in dem Besonderes möglich ist und den sie dann bis zum nächsten Gespräch zurücklassen darf. Und dieses Potenzial hat das Wohnzimmer der Patient*in nur eingeschränkt, die Patient*in bleibt allein in ihrem Raum, wenn wir uns aus dem Gespräch ausloggen.

Doch außergewöhnliche Situationen verlangen auch ungewohnte Lösungen. Die Corona-Pandemie gebietet vor allem große Vorsicht. Das Virus ist außergewöhnlich ansteckend und einige Patient*innen ziehen es deshalb vor, die psychotherapeutische Behandlung erst einmal über das Internet fortzuführen: per Videotelefonat, bei dem man sich nicht nur hört, sondern auch sieht. Und diese Technik, die gerade auch in die psychotherapeutische Praxen Einzug hält, ermöglicht etwas, das die Nachteile aufwiegt: „Ich kann weiter für die Patient*in da sein. Die Behandlung kann fortgesetzt werden, sie muss nicht abgebrochen werden“, hebt Psychotherapeutin Erazo hervor. „Diese Kontinuität ist ein großer stabilisierender Faktor.“

Aber auch die Videobehandlungen verlangen Ruhe und Ungestörtheit. Das ist nicht immer der Fall. Eine andere Patientin hatte sich für die Behandlung ins Auto gesetzt, weil in der Wohnung zu viel los war. Auch Homeoffice und geschlossene Kitas und Schulen verlangen häufig besonderen Einfallsreichtum.

Die Erfahrungen, die Natalia Erazo mit Behandlungen in der Coronakrise gemacht hat, sind grundsätzlich besser als zunächst gedacht: Ihre Patient*innen haben jetzt handfeste Alltagsprobleme. Sie sind mit existenziellen Ängsten beschäftigt, zum Beispiel mit Befürchtungen entlassen zu werden oder mit Sorgen um Großeltern, die der Virus das Leben kosten kann. Doch diese neuen Herausforderungen des Alltags relativieren auch das persönliche psychische Leiden. „Die Coronakrise hat überraschend auch die Eigenschaft zu stützen“, berichtet Erazo. „Das psychische Leid rückt bei manchen etwas aus dem Zentrum des Erlebens, es scheint in der Corona-Sorge etwas aufgehoben; es gibt nun Konkretes zu besprechen, zu organisieren, zu erschaffen.“ Ferner hat die Krise auch Elemente, die Zusammenhalt fördern: Die Menschen sprechen mehr miteinander und versichern sich in der Not: „Wir sitzen alle in einem Boot. Gemeinsam schaffen wir das.“

Viele ihrer Patient*innen nutzen bereits die neue Videobehandlung. Natalia Erazo schätzt, dass es bei ihr bereits zwei Drittel der Termine sind. Doch nicht für jede Patient*in ist das Ferngespräch per Handy oder Laptop eine ausreichende Alternative, auch wenn man die Gesprächspartner*in dabei sieht. Im realen Kontakt kann das Gespräch, das immer auch viele gestische, nonverbale Elemente enthält, leichter eine Tiefe erreichen, als dies im virtuellen Kontakt möglich ist. Ein älterer Herr nimmt nach wie vor die Fahrt zur Praxis auf sich, trotz der besonderen Risiken, die er damit eingeht. Er möchte weiter das Gespräch von Angesicht zu Angesicht führen, um damit ab und zu aus der Einsamkeit seiner Situation herauszukommen. Natalia Erazo bleibt auch diesen Wünschen gegenüber offen. Solange eine Patient*in nicht positiv getestet ist, sind ihre Praxistüren nicht verschlossen. Auch wenn sie den Sicherheitsabstand auf drei Meter vergrößert hat.

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