Ambulante Versorgung schwer psychisch kranker Menschen gefährdet

BMG beanstandet Richtlinie zur Komplexbehandlung nicht

(BPtK)

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat die neue Richtlinie zur Komplexbehandlung (KSVPsych-Richtlinie) nicht beanstandet. Aus Sicht der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) ist damit die ambulante Versorgung von schwer psychisch kranken Menschen gefährdet, weil so nicht flächendeckend ausreichend psychotherapeutische und ärztliche Praxen zur Verfügung stehen.

Die BPtK hält die neue Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) außerdem für rechtswidrig, weil sie Familien- und Sorgearbeit diskriminiert. Der Gesetzgeber hat vor 15 Jahren ausdrücklich die Möglichkeit geschaffen, dass sich Psychotherapeut*innen und Ärzt*innen Praxissitze teilen, um Beruf und Familie besser vereinbaren zu können. Die neue G-BA-Richtlinie sieht jedoch vor, Psychotherapeut*innen und Ärzt*innen mit halben Praxissitzen von zentralen Aufgaben der ambulanten Komplexversorgung auszuschließen. Gerade in ländlichen und strukturschwachen Regionen werden deshalb psychotherapeutische und ärztliche Praxen fehlen, die die Komplexversorgung übernehmen können. Die BPtK hatte deshalb von BMG gefordert, die Richtlinie zur Komplexversorgung zu beanstanden.[1]

„Beruf und Familie unvereinbar zu machen ist ein Rückfall in verstaubte Vorstellungen von ausschließlicher Erwerbstätigkeit“, stellt BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz fest. Die Planungen des G-BA sind frauenfeindlich. Dreiviertel der Psychotherapeut*innen und Zweidrittel der psychotherapeutisch tätigen Ärzt*innen sind weiblich und von der Regelung besonders betroffen. Trotzdem schließt die neue G-BA-Richtlinie Psychotherapeut*innen und Ärzt*innen mit einem halben Praxissitz davon aus, die zentrale Koordinierungsrolle in der Komplexversorgung übernehmen zu können.

Ferner soll laut Richtlinie die gesamte Differenzialdiagnostik bei einer Psychiater*in wiederholt werden, auch wenn diese von einer Psychotherapeut*in bereits in der Sprechstunde durchgeführt wurde. Jede Patient*in muss innerhalb einer Woche zur differenzialdiagnostischen Abklärung bei einer Psychiater*in. „Dies stellt für Patient*innen eine überflüssige bürokratische Hürde dar“, kritisiert BPtK-Präsident Munz. „Doppelte Untersuchungen sollen sonst überall im Gesundheitswesen vermieden werden. Dass der G-BA jetzt eine unnötige zweifache differenzialdiagnostische Untersuchung auch noch in seiner Richtlinie vorschreibt, ist geradezu grotesk.“

Laut G-BA ist ein voller Praxissitz notwendig, damit die koordinierenden Psychotherapeut*innen und Ärzt*innen ausreichend erreichbar sind, auch bei Krisen und Notfällen. Zum einen müssen jedoch auch Psychotherapeut*innen mit halben Praxissitzen für Patient*innen in Krisen jederzeit erreichbar sein. Zum anderen ignoriert der G-BA, dass mit halben Praxissitzen weit überdurchschnittlich viele Behandlungen angeboten werden. Nach den Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung erbringen zwei Psychotherapeut*innen mit halbem Praxissitz durchschnittlich knapp das 1,5-fache der Behandlungsstunden einer Psychotherapeut*in mit vollem Praxissitz.

Die neue Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag vereinbart, für Patient*innen mit schweren und komplexen psychischen Erkrankungen den Zugang zu ambulanten Komplexleistungen sicherzustellen. „Wir brauchen nun schnell einen gesetzlichen Auftrag an den G-BA, der die Fehler der Richtlinie zur ambulanten Komplexversorgung korrigiert, damit flächendeckend ein ausreichendes Versorgungsangebot entstehen kann“, fordert der BPtK-Präsident. „Dafür brauchen wir flexible Lösungen für die Netzverbünde in ländlichen und strukturschwachen Regionen.“ Außerdem muss die aufsuchende Behandlung der Patient*innen in ihren Wohnungen ein fester Bestandteil der Komplexversorgung werden. Schließlich muss die Anstellung in den Praxen der Netzverbünde erleichtert werden, um ausreichende Behandlungskapazitäten zu schaffen.

[1] Der 39. DPT hat sich dieser Forderung in einer mit überwältigender Mehrheit beschlossenen Resolution angeschlossen.

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