Landespsychotherapeutentag 2017

Liegt die Zukunft der Psychotherapie im Internet?

Eröffnung des LP-Tages durch Kammerpräsident Dr. Dietrich Munz
(LPK BW)

"Liegt die Zukunft der Psychotherapie im Internet?" – das war Thema des diesjährigen Landespsychotherapeutentages, der am 1.7.2017 in Stuttgart vor ca. 200 interessierten Mitgliedern stattfand. Das Programm ließ neben den Fachvorträgen gezielt viel Zeit für die Diskussionsbeiträge, was die vielen Teilnehmern die Möglichkeit eröffnete, zu dem kontroversen Thema ihre durchaus kritischen Standpunkte einzubringen.

Wie Kammerpräsident Dr. Dietrich Munz in seiner Einführung ausführte, spielen Computer und das Internet zum Informationsaustausch mittlerweile in fast allen Lebensbereichen eine wichtige Rolle. Wir alle seien konfrontiert mit einer raschen und extrem dynamischen Entwicklung, es würden unüberschaubare Mengen von  Daten verarbeitet, sogenannte von „big data“, es werde nach Datenkombination oder Zusammenhänge zwischen verschiedenen Daten gesucht. Diese Entwicklung gebe es längst auch im Gesundheitssystem, Google Health sei nur ein Beispiel dafür. Inzwischen hätten etwa 30 Prozent der Deutschen auf ihren Smartphones Gesundheits-Apps installiert. Auch für psychische Erkrankungen gebe es, so Munz, bereits zahlreiche Präventions- und Behandlungsangebote. Dies biete viele Chancen, aber auch Risiken, die abgewogen und auch begrenzt werden müssten.

Die Angebote für psychische Beschwerden seien von deutlich unterschiedlicher Qualität. Fragen für die Nutzung solcher Hilfen sind u.a. „Wird nur beraten oder schon behandelt?“, „Ist das Programm auf seine Wirksamkeit untersucht?“, „Hat es Nebenwirkungen?“ oder „Bekommt man während der Nutzung eine individuelle Unterstützung? Wenn ja, von wem? Von einem approbierten Psychotherapeuten?“

Vorteil vieler onlinebasierter Hilfen sei, dass sie flexibel im Alltag genutzt werden, z.B. von gehbehinderten Patienten oder in dünner besiedelten ländlichen Gebieten. Es stelle sich aber die Frage, wie wirksame Internetprogramme zur Regelleistung für alle Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung gemacht werden können. Ziel müsse es sein, den Patienten die bestmögliche Behandlung ihrer psychischen Beschwerden anzubieten.

Da der baden-württembergische Sozialminister Manne Lucha verhindert war, ging Dr. Munz in einem Exkurs kurz auf die aktuellen politischen Überlegungen und Entwicklungen in Baden-Württemberg ein. Er sei sicher, so Dr. Munz, „dass Minister Lucha uns berichtet hätte, dass im Koalitionsvertrag als Ziel dieser Legislatur die Entwicklung einer Strategie zur Digitalisierung im Gesundheitswesen vereinbart wurde“. Inzwischen stehe für innovative, nachhaltige und nützliche Projekte auch eine umfassende Projektförderung durch das Land zur Verfügung, die Ausschreibung ist vor kurzem erfolgt. Auch bei der Gestaltung und ggf. erforderlichen Weiterentwicklung bundesrechtlicher Bestimmungen wolle sich das Land, wie der Minister angekündigt hatte, künftig noch stärker einbringen.

Dr. Munz hob hervor, dass auch die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten diese Prozesse und Entwicklungen mitgestalten sollten bzw. müssten. Der Landespsychotherapeutentag solle ein (erstes) Forum zum Austausch über die verschiedenen, v. a. fachlichen und versorgungspolitischen Aspekte von Internet in der psychotherapeutischen Versorgung bieten.

Jürgen Hardt, psychoanalytische Praxis Wetzlar, ehem. Präsident der LPK Hessen

Jürgen Hardt stellte mit seinem Beitrag zum Thema „Psychotherapie in der zweiten Postmoderne – schlanke Gesundheitsleistung oder was kann eine virtuelle Beziehung leisten?“ gleich zu Beginn den – vom Veranstalter bewusst so gewollten – kritischen Gegenpart zu der von Dr. Munz skizzierten Entwicklung dar. Er wolle, so Hardt, seine Zuhörer zu einem „kritischen Zuhören verleiten, wenn nachfolgend die vielen Vorteile der Internetangebote“ beleuchtet würden. Er betonte die Zeitgebundenheit von Psychotherapie und der als Produkt der Moderne entstandenen Psychoanalyse mit ihrem aufklärerischen Charakter. In einem zweiten Schritt zeichnete er den Weg der „Postmoderne 2.0“, die sich von der gemeinschaftlichen Krankenbehandlung zur wettbewerblichen Gesundheitswirtschaft gewandelt habe. Dabei sei Krankheit zum Unwort sowie Gesundheit zu einer Ware erklärt und Krankenbehandlungen wurden zu Gesundheitsleistungen, Therapeuten zu Dienstleistern. Eine Vielzahl von Gesetzen seien auf den Weg gebracht worden, die alle letztlich Kostendämpfungsgesetzte seien, zuletzt das Wettbewerbsstärkungsgesetz von 2016. Gesundheitsökonomen hätten mit ihren Überlegungen und Berechnungen „das ihnen angebotene Regiment“ übernommen, den Ökonomismus zur alternativlosen Heilslehre erklärt, und damit einhergehend der Globalismus und der Digitalismus.

Eine zentrale Kritik Jürgen Hardts bezieht sich auf die „Internettherapie als schlanke Gesundheitsleistung“, auch als „Lean-Health-Care“ bezeichnet , nicht darauf, Medien in die Therapie einzubeziehen, „wenn man weiß, was man tut, was eine solche Form leisten kann, welche Vorteile sie hat und welche Nachteile man in Kauf nimmt“. Beim schlanken Denken stünden, so Hardt, die Wünsche des Kunden im Mittelpunkt; Kunden-Zufriedenheit sei oberstes Gebot. Schlank bedeute auch, wenig verbrauchen und viel erreichen. Nach dieser Leitlinie müssten in der Gesundheitsversorgung alle Prozesse optimiert werden, um erfolgreich zu sein, d.h. die Kosten senken und zugleich die Qualität erhöhen: “just in time und no waste of time and money“. Die in Einzelschritten nachvollziehbare, am Kundenwunsch orientierte und permanent optimierbare Internettherapie entspreche, wie Hardt ausführt, den Prinzipien der schlanken Gesundheitsproduktion, die in der postmodernen Gesundheitswirtschaft zur Norm geworden sei. Seine grundsätzlichen fachlichen Bedenken beziehen sich im Wesentlichen auf zwei Punkte: 1. sei die Diskretion, zu der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten als Berufsgeheimnisträger strafrechtlich verpflichtet sind, grundsätzlich nicht sicher gestellt, auch noch so gut verschlüsselte digitale Kommunikation sei für Experten prinzipiell zugänglich. 2. schränke die fehlende Zwischenleiblichkeit die therapeutische Wirkung ein.

Prof. Christine Knaevelsrud, Freie Universtät Berlin

Prof. Dr. Christine Knaevelsrud (Freien Universität Berlin) unterschied in ihrem Beitrag „Internetbasierte psychotherapeutische Interventionen: Wirksamkeit und Beziehungserleben“  zunächst zwischen unterschiedlichen Behandlungsansätzen: nicht therapeutisch unterstützte Online-basierte Selbsthilfe, therapeutisch gestützte Selbsthilfe bzw. teilstandardisierte Behandlung sowie Mail-/Chat-/Video-Beratung bzw. Therapie. Letztere nutzten Telefon, E-Mail oder Internetprogramme zur Kommunikation, wobei die Intensität und Regelmäßigkeit des therapeutischen Kontakts genauso sein können wie bei einer Behandlung in einer psychotherapeutischen Praxis. Prof. Knaevelsrud gab einen Überblick über die aktuelle Forschungslage anhand der Ergebnisse von Metaanalysen. Hier zeigte sich, wie sie betonte, in fast allen großen Störungsbereichen mittlere bis hohe Effektstärken. Die meisten Programme basierten auf kognitiv-verhaltenstherapeutischen Konzepten, es seien aber auch erste psychodynamische Programme verfügbar. In einigen Studien wurde dabei die Onlineintervention mit einer konventionellen (Face-to-face- oder f2f-) Psychotherapie verglichen, wobei sich im Durchschnitt keine Unterschiede zeigten. Einschränkend sei allerdings, dass es bislang nur eine kleine Gruppe potentieller Patienten gebe, die diese Form der Behandlung für sich nutzen möchten, weshalb die durchgeführten Studien aufgrund dieser Selbstselektion einen impliziten Bias hätten und nicht verallgemeinerbar seien.

Im Vergleich zu reinen Selbsthilfeangeboten, seien die genannten Onlineverfahren mit therapeutischer Unterstützung („Guided Self-help“) verbunden, die Qualifikation der Ansprechpartner (Psychotherapeuten, Ärzte, Pflegekräfte bis hin zu angelernten Beratern) sei aber bei den bestehenden Angeboten sehr unterschiedlich. Die Unterstützung ziele u.a. darauf ab, Patienten zu motivieren, das Programm weiter zu nutzen und für Rückfragen zur Verfügung zu stehen. Dies sei von Bedeutung für die Wirksamkeit der Programme. Ohne Unterstützung brächen viele Nutzer vorzeitig ab. Die Gründe hierfür seien neben fehlendem direktem f2f-Kontakt u.a. auch technische Probleme oder erlebte Belastungen durch das Programm. Knaevelsrud berichtete, dass Patienten, wenn sie nicht abbrechen, die therapeutische Beziehung bei diesen Angeboten meist genauso positiv bewerteten wie in konventioneller Psychotherapie. Allerdings sei die Bewertung der Beziehung kein konsistenter Prädiktor für die Behandlungsergebnisse, ein umfangreicherer Therapeutenkontakt führe hingegen zu positiveren Outcomes. Schließlich betonte Knaevelsrud, dass eine Approbation als Psychotherapeut notwendig sei, um angemessen auf kritische Situationen von Patienten, z.B. Suizidgedanken, reagieren zu können.

Prof. Harald Baumeister, Universität Ulm

Prof. Dr. Harald Baumeister (Universität Ulm) fokussierte mit seinem Vortrag „Blended Therapy – Integration neuer Medien in den psychotherapeutischen Alltag“ die Möglichkeiten der Verzahnung von internet- und mobilebasierten Interventionen (IMI) und konventioneller Psychotherapie. Zunächst stelle er in Frage, von welchen potentiellen Nutzungsraten bei IMI ausgegangen werden kann. So sei aktuell von ca. 5 Millionen Menschen auszugehen, die eine depressive Störung aufwiesen, wenn davon realistischer Weise, wie einige Studien zeigten, ca. 10%=500.000 die Akzeptanz aufwiesen und davon weitere 10-50% das Angebot auch wirklich nutzten, ergäbe sich ein Bedarf für 50-250.000 Menschen.

Baumeister stellte dar, wie Internetprogramme und unmittelbare Psychotherapie kombiniert werden können. Z.B. könnten Patienten während einer laufenden Psychotherapie einzelne Internetmodule bearbeiten (integrierte Variante). Bei der sequentiellen Variante hingegen erfolge nach der Bearbeitung eines Internetprogramms eine direkte psychotherapeutische Behandlung oder es werden die Internetprogramme im Anschluss an eine Psychotherapie genutzt, um einen Therapieerfolg zu sichern. Erinnerungsfunktionen von Apps könnten sinnvolle Ergänzungen zur Psychotherapie im Alltag der Patienten sein. Wie Baumeister hervorhob, stieß vor allem die Kombination von Internetprogrammen und persönlichen Therapiegesprächen auf die Akzeptanz der Patienten, die in vielen Fällen höher sei als bei nicht-kombinierten Angeboten.

Darüber hinaus könnten, wie eine aktuelle, von der Uni Ulm in Kooperation mit der LPK BW durchgeführte Studie zeige, gezielte Informationen zu IMIs helfen, die Akzeptanz von Psychotherapeuten zu erhöhen.  Ihr Einfluss sei in einem randomisierten Design untersucht worden, in dem ca. 300 Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zwei Gruppen mit und ohne Information zu IMI per Zufall zugewiesen wurden. Der Effekt sei recht eindeutig: Psychotherapeuten waren sehr skeptisch, nur 25% hätten eine eher hohe Akzeptanz gegenüber IMIs gezeigt. Bei der Interventionsgruppe mit Information sei die Akzeptanz deutlich höher gewesen als in der Kontrollgruppe, dies war insbesondere bei der (kleinen) Gruppe der psychoanalytisch ausgerichteten Kolleginnen und Kollegen der Fall gewesen. Dies könnte als ein Hinweis darauf sein, dass deren Akzeptanz besonders durch Informationen gesteigert werden könne. Insgesamt lagen die von den Therapeuten angegebenen Chancen von IMIs u.a. darin, dass die Therapie zeit- und ortsunabhängig erfolgen könne, die Hilfe zur Selbsthilfe gestärkt werde und Zugang für Patienten zur Psychotherapie bestehe, die sonst nicht erreicht würden. Als Nachteile seien v.a. genannt worden: Beziehung würde vermieden, Beziehungsmuster könnten demzufolge nicht aufgelöst werden, es könnte vermehrt zu Fehlinterpretationen und Missverständnissen kommen und auch Datenschutz- und Haftungsfragen seien unklar. Außerdem hätten Bedenken bestanden hinsichtlich des Spannungsverhältnisses Therapeut als Maschine/Maschine als Therapeut sowie einer möglichen VT-Monokultur bei IMI.

PD Dr. Stephanie Bauer, Forschungsstelle für Psychotherapie Heidelberg

PD Dr. Stephanie Bauer (Forschungsstelle für Psychotherapie Heidelberg) ging mit ihrem Vortrag „Verbesserung der Versorgungskontinuität durch internetbasierte Interventionen“ insbesondere auf die Möglichkeiten für Prävention und Frühintervention sowie an der Schnittstelle der nachsorgenden und stabilisierenden Behandlung nach stationärer Psychotherapie ein. Sie zeigte anhand von vier seitens der Forschungsstelle in den vergangenen Jahren durchgeführten Studien, wie der Einsatz von elektronischen Medien in der Nachsorge nach stationärer Psychotherapie zur Stabilisierung der Behandlungseffekte beitragen kann. So konnte eine „Chat-Brücke“ den nachstationären Verlauf z.B. Wert für den Schwergrad der Symptomatik auch 1 Jahr nach der Behandlung auf dem Niveau bei Entlassung halten – im Gegensatz zu Patienten, die keine solche Unterstützung erhielten. Auch Rückfallraten seien, so Bauer, deutlich niedriger gewesen, vor allem für jene Patienten, die keine ambulante Psychotherapie in Anspruch genommen hätten. Auch in einer weiteren Studie zur Wirksamkeit einer sog. „SMS-Brücke“ hätten ähnliche Effekte gezeigt werden können. In einer dritten Studie zur Smartphone-basierten Nachsorge bei Alkoholabhängigkeit („SaluSmart“), bei der über ein tägliches Monitoring ein Alarmzeichen bei Rückfallgefahr „eingebaut“ worden sei, habe gezeigt werden können, dass diese Maßnahme für Suchtkranke eine wichtige nachstationäre Hilfe darstellen könne. Auch bei Patienten mit chronisch rezidivierender Depression („SUMMIT-Studie“) deuteten die Ergebnisse darauf hin, dass mit einer zusätzlichen Chatbetreuung durch Experten nach stationärer Psychotherapie ein stabiler Effekt erreicht werden könne. In einer abschließend vorgestellten, präventive Maßnahmen ins Zentrum rückenden und aktuell noch laufenden Studie („Pro-Youth“) habe u.a. der Zugang der Jugendlichen zu unterschiedlichen psychotherapeutischen Hilfen u.a. über ein Chat-Angebot verbessert werden können. Insgesamt seien, so Bauer, die e-Mental-Health-Angebote praktikabel, seitens vieler Patienten akzeptiert, wirksam und auch kosteneffektiv. Dies konnte insbesondere für den Nachsorgebereich nachgewiesen werden. Auf Grundlage dieser Ergebnisse sei es eine wesentliche Frage, wie solche Angebote mit der konventionellen Psychotherapie verbunden bzw. gegenseitig ergänzt werden können.

Andreas Vogt, Techniker Krankenkasse Landesvertretung Stuttgart

Andras Vogt, Leiter der Landesvertretung Baden-Württemberg der Techniker Krankenkasse (TK), ging in seinem Beitrag „eHealth - neue Chancen für die frühzeitige Versorgung psychisch kranker Menschen?“ einleitend auf die sehr dynamische und weltweite  Entwicklung der „Wachstumsbranche (digitale) Gesundheit“ ein. Die Gründe hierfür seien vielfältig: demographischer Wandel, wachsende Anzahl chronischer Erkrankungen, medizinischer und technischer Fortschritt sowie auch ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein führten zu einer immer größeren Nachfrage, demgegenüber seien die finanziellen Ressourcen begrenzt.

Vogt verwies auf aktuelle Daten der TK zur Bedeutung psychischer Erkrankungen: sie seien 6 der 12 Hauptursachen von Krankschreibungen, die Fehlzeiten seien seit 2006 bundesweit um fast 90% bzw. um fast 3 Tage je Versichertem gestiegen. Als Konsequenz gebe es überall lange Wartezeiten auf einen Therapieplatz. Die TK hätten sich u.a. auch aus diesen Gründen schon 2013 zum Thema „digitale Psychotherapie“ positioniert und in einem Fachforum mit Experten die Möglichkeiten und Chancen der Internet-Therapie diskutiert. Hieraus sei in Zusammenarbeit mit Prof. Knaevelsrud der Depressions-Coach entstanden. Bei diesem Angebot könnten Versicherte mit depressiven Beschwerden Informationen und Hilfen im Internet nutzen und auch per E-Mail zusätzlich von einem Psychotherapeuten begleitet werden. Eine erste Evaluation des Programms zeige eine hohe Zufriedenheit und eine gute Wirksamkeit.

Zukünftig sei es wichtig, dass digitale Angebote sich ausschließlich auf der wissenschaftlich evaluierter Beratungs- und Therapieprogramme basierten, höchste Standards bzgl. Datenschutz und Datensicherheit einhielten (vergleichbar etwa mit Online-Banking), nur durch qualifizierte Psychotherapeuten angeboten und Mindestanforderungen zur Struktur- und Prozessqualität einhielten. Darüber hinaus müssten die rechtlichen – wie durch die LPK Baden-Württemberg bereits umgesetzt – Rahmenbedingungen (Fernbehandlungsverbot) überprüft sowie auch eine fortlaufende wissenschaftliche Begleitung gewährleistet werden. Für letztere schlage die TK ein gemeinsames bundesweites Innovationsbudget für die Versorgungsforschung vor, in das alle Kassen z.B. 2,50€ jährlich je Versicherten (das wären ca. 180 Mio. €) einzahlen sollten.

Dr. Dietrich Munz bei der Vorstellung der BPtK-Position

 

Kammerpräsident Dr. Dietrich Munz stellte den BPtK-Standpunkt „Internet in der Psychotherapie“ vor. Das Internet könne die psychotherapeutische Behandlung in der Praxis oder Klinik ergänzen und die Versorgung psychisch kranker Menschen verbessern, es könne sie jedoch nicht ersetzen.

Kritisch bewertete er, dass Programme aktuell von Krankenkassen vor allem entwickelt würden, um sich von ihren Wettbewerbern zu unterscheiden und Mitglieder zu werben. Das führe dazu, dass viele Internetprogramme nur für die Versicherten der jeweiligen Krankenkasse verfügbar seien. Dies sei jedoch mit den Grundsätzen einer gesetzlichen Krankenversicherung nicht vereinbar. Bei Arzneimitteln wäre es undenkbar, dass eine Krankenkasse einen Wirkstoff exklusiv ihren Versicherten zur Verfügung stelle. Nachweislich wirksame Internetprogramme müssten allen Versicherten auf Kosten der Krankenkassen zur Verfügung gestellt werden können Bestandteil der Regelversorgung werden.

„Internetprogramme zur Prävention oder Behandlung psychischer Erkrankungen müssen genauso sorgfältig durchgeführt werden und genauso sicher sein, wie Behandlungen im unmittelbaren Gegenüber“, forderte BPtK-Präsident Munz. Diagnose und Aufklärung müssten grundsätzlich in unmittelbarem Kontakt zwischen Psychotherapeut und Patient erfolgen. Eine Kontrolle des Therapieverlaufs müsse auch bei einer Behandlung über das Internet möglich sein. Dazu gehöre es, dass ein Notfallplan erstellt und mit dem Patienten abgesprochen werde, wie er seinen Psychotherapeuten erreichen kann.

Allerdings schwanke die Qualität der Programme bisher stark und sei darüber hinaus oft nur unzureichend zu beurteilen. Die BPtK fordere deshalb, dass in Zukunft ausschließlich zertifizierte Angebote verwendet, diese auch ins Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen und von Psychotherapeuten verordnet werden können. Nur so könne gewährleistet werden, dass wirksame Programme allen Patienten zur Verfügung gestellt werden könnten. Darüber hinaus sei unbedingt erforderlich, dass die Angebote auf dem technisch höchsten Standard verschlüsselt seien. Die BPtK fordere daher, in der Telematikinfrastruktur für das deutsche Gesundheitswesen Anwendungen zu ermöglichen, mit denen Patienten und Psychotherapeuten sicher miteinander kommunizieren können. Mit dem elektronischen Heilberufsausweis und der elektronischen Gesundheitskarte stünden in naher Zukunft Authentifizierungsinstrumente mit sehr hohen Verschlüsselungsstandards zur Verfügung.

Munz riet Patienten, Internetprogramme für psychische Beschwerden und Erkrankungen kritisch zu hinterfragen. Häufig fehlten wichtige Informationen, um die Qualität und Datensicherheit von Programmen beurteilen zu können. Die BPtK habe daher einen Leitfaden für Internetprogramme im Praxisalltag erarbeitet, mit dem Patienten Angebote selbst prüfen könnten. Fehlten wesentliche Angaben, sollte ein Verbraucher das Programm nicht nutzen.

 

Podiumsdiskussion, v.l.n.r.: Prof Knaevelsrud, PD Dr. Bauer, Dr. Munz, Prof. Baumeister, A. Vogt, J . Hardt und Moderatorin C. Wanke

Podiums- und Publikumsdiskussion

In der durch Cornelia Wanke (WankeConsulting Berlin) geleiteten Podiumsdiskussion  bekräftigten alle Referenten ochmal die aus ihrer Sicht bestehenden Chancen und Möglichkeiten von e-Mental-Health, aber auch die Probleme und Schwierigkeiten, die diese Ansätze mit sich bringen werden oder könnten. Aus Sicht von LPK- und BPtK-Präsident sind insbesondere drei Dimensionen relevant:

  1. die technische Frage der Realisierbarkeit allgemein, aber insbesondere der Aspekt des ausreichenden Datenschutzes;
  2. die fachliche Frage, wie die neuen Möglichkeiten für Patienten genutzt werden können und sollen sowie
  3. die Schaffung der notwendigen Rahmenbedingungen durch die Politik, damit die neuen Angebote allen Versicherten zugutekämen.

Die Diskussionsbeiträge aus dem Publikum spiegelten die eher kritischen Positionen zu e-Mental-Health wieder, z.B. wurden Ängste hinsichtlich der Sicherheit von Daten thematisiert, insbesondere aber hervorgehoben, dass die therapeutische Beziehung, ein wesentlicher Wirkfaktor psychotherapeutischer Arbeit, mit solchen Ansätzen weitgehend außen vor bleibe.

Die Innovationen des Internets den Krankenkassen als Marketinginstrument zu überlassen sei fahrlässig, stellte Dr. Munz abschließend fest. Die hohen Standards in der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen müssten gewahrt werden. Unabhängig von den Farben der Regierungskoalition müsse sich der Gesetzgeber in der nächsten Legislaturperiode mit dem Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen auseinandersetzen.

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