Landeskongress Gesundheit 2020

(LPK BW)

Der 5. Landeskongress Gesundheit Baden-Württemberg fand am 7. Februar 2020 in der Messe Stuttgart statt. Der 2016 von der Bezirksärztekammer Nordwürttemberg, der kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg und einigen großen Krankenkassen ins Leben gerufene Kongress stand diesmal unter dem Motto „Zukunftssicherung Gesundheit“ und versammelte ca. 300 Entscheidungsträger aus Ärzteschaft, Verbänden und Krankenkassen sowie politische Vertreter*innen, um den aktuellen Stand und Weiterentwicklungen im Gesundheitswesen zu diskutieren.

Für die LPK Baden-Württemberg v.a. zum Thema „Depressionen – die neue Volkskrankheit?“ mit dabei waren Kammerpräsident Dr. Dietrich Munz, Geschäftsführer Christian Dietrich und Dr. Rüdiger Nübling.

KV-Vorsitzender Dr. Norbert Metke vor LKG20-Plenum

KV-Chef Dr. Norbert Metke ging in der Eröffnungsrede auf eine aus seiner Sicht zunehmende Kommerzialisierung im Gesundheitswesen, die sich vor allem durch den Kontrast zwischen Gewinnmaximierung und ärztlicher Behandlungsethik zeige. Er kritisierte, dass ausländische Investoren zunehmend kleine Krankenhäuser aufkauften und diese zur Gründung von medizinischen Versorgungszentren (MVZ) nutzten, womit sie niedergelassenen Praxen Konkurrenz machten. Gesundheitsversorgung gehöre nicht in die von Investoren mit Shareholder-Interessen, so Metke.

Eröffnungsvortrag von Sozialminister Manne Lucha

In seinem Grußwort der Landesregierung ging Gesundheits- und Sozialminister Manfred Lucha mit klaren Worten auf die aktuelle vor allem durch eine Vielzahl von Gesetzesinitiativen des BMG dominierte Gesundheitspolitik und die Forderungen und das Verhalten der AfD im Landtag ein. Er verband dies mit einem starken Plädoyer für eine gemeinsame politische Verantwortung von Politik und Selbstverwaltung auch im Gesundheitswesen.

Anschließend ging Prof. Ferdinand Gerlach, Vorsitzender des Sachverständigenrats Gesundheit, auf aktuelle Entwicklungen u.a. zur Versorgungsdichte von Ärzten und Krankenhäusern im internationalen Vergleich ein. So weise Deutschland eine für Industriestaaten hohe Arzt- und Krankenhausbettendichte auf. Seit 1990 sei die Zahl der Ärzte auf fast 400.000 deutlich gestiegen, dennoch würden in einer deutschen Arztpraxis wöchentlich fünfmal mehr Patienten betreut als z.B. in skandinavischen Ländern. Er kritisierte ein Nebeneinander an Über-, Unter- und Fehlversorgung und warb für neue Strukturen und Versorgungsformen vor allem in ländlichen und strukturschwachen Regionen. Er beklagte auch einen teilweise fehlenden Schutz vor zu viel oder falscher Medizin.

Prof. Boris Augurzky, Leiter des Kompetenzbereichs Gesundheit am RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, vertrat die Auffassung, dass durch fortlaufend neue Reformen der aktuellen Gesundheitspolitik zunehmend mehr reguliert werde. Das binde viele Ressourcen und erzeuge eine Misstrauenskultur, während die Handlungsspielräume der einzelnen Akteure geringer werden. Die Folgen zeigten sich u.a. in Krankenhäusern, wo vereinzelt Endzeitstimmung herrsche. Augurzky forderte mehr Gestaltungsfreiheit und Verantwortung vor Ort, wie z.B. regionale Versorgungsbudgets für Landkreise.

 

Keynote von MdB. Prof. Karl Lauterbach

Anders als Gerlach warb SPD-Gesundheitsexperte MdB Prof. Karl Lauterbach für deutlich mehr Medizinstudienplätze. Die zunehmende Komplexität der Medizin und damit anspruchsvoller werdende Versorgung erhöhe die Nachfrage nach qualifizierten Ärzt*innen. Zwar führten Digitalisierung und künstliche Intelligenz zu großen Fortschritten in der Medizin, gleichzeitig fände aber auch eine Verkomplizierung und Segmentierung aller Fachbereiche statt. Darum müssten jährlich mehr als 5000 Mediziner*innen zusätzlich ausgebildet oder ins Land gelassen werden, was an den Hochschulen derzeit nicht umsetzbar sei.

Im Rahmen von World Café Foren fand im zweiten Teil des Kongresses ein Expertenaustausch u.a. zu folgenden zentralen Themen statt:

  • Zukunft der ambulanten und stationären ärztlichen Versorgung
  • Ärztliche Nachwuchssicherung
  • Vermeidung von Engpässen in der Arzneimittelversorgung
  • Einfluss gesellschaftlicher Veränderungen auf die Gesundheitsversorgung
  • Synergien durch eine bessere Vernetzung

Gesellschaftliche Einflüsse auf die Gesundheitsversorgung wurde an drei von Christian Dietrich moderierten Tischen diskutiert. Themen waren die digitale Patientensouveränität, die Veränderung der Versorgungslandschaft durch mehr Frauen in ärztlichen Berufen sowie die Volkskrankheit Depression. In anderen Foren ging es zum Beispiel um Erfahrungen mit dem Terminservicegesetz und zukunftsfähige Versorgung in ländlichen Regionen, um regionale Versorgungsverbünde oder die Situation der Pflegekräfte in Rehakliniken (Programm).

v.l.n.r. LÄK-Präsident Dr. Wolfgang Miller, Prof. Karl Lauterbach, LPK-Präsident Dr. Dietrich Munz

Die von Dr. Dietrich Munz als geladener Experte und von Dr. Rüdiger Nübling als Moderator geleitete Diskussion zum Thema Depression soll hier kurz skizziert werden. Mit am Tisch: Funktionsträger des Sozialministeriums, der Krankenkassen, der Heilberufekammern sowie auch Institutionen, wie der Robert-Bosch-Stiftung.

Wie Dr. Munz ausführte, liege die 12-Monats-Prävalenz von Depression liege bei ca. 10%, womit sie als Volkskrankheit eingestuft werden könne. Von der WHO werde sie als drittbedeutendste Erkrankung betrachtet. Frauen seien deutlich häufiger (13%) betroffen als Männer (6%). Depressionen hätten nicht zugenommen, so Dr. Munz, außer bei jungen Menschen zwischen 19 und 25 Jahren. Die oft festgestellte Zunahme sei Folge besserer Diagnostik, v.a. Hausärzte würden Depressionen häufiger erkennen und feststellen. Auch habe die (weiter bestehende) Stigmatisierung psychischer Erkrankungen in den vergangenen 2-3 Jahrzehnten deutlich abgenommen, was dazu führe, dass mehr Betroffene von sich aus professionelle Hilfe aufsuchen. Die Beeinträchtigung der Lebensqualität durch Depression sei erheblich, bei zunehmendem Alter gebe es auch eine erhöhte Suizidrate.

Zur Frage nach Behandlungsangeboten führte Dr. Munz aus, dass maximal 10% der Menschen mit psychischen Erkrankungen in psychotherapeutischer Behandlung seien, obwohl nach Leitlinie vor allem bei leichten und mittelschweren Depressionen Psychotherapie die Behandlung der ersten Wahl sei, bei schweren Depressionen meist in Kombination mit Psychopharmaka. Insgesamt 30-40% der Patienten mit Depressionen würden von Hausärzten und dann überwiegend psychopharmakologisch behandelt. Dies sei auch dadurch bedingt, dass es zu wenig psychotherapeutische Behandlungsplätze gebe. Durch die neue Regelung der Sprechstunden bzw. Terminservicestellen hätte sich zwar die Wartezeit auf einen ersten Termin verkürzt, es gebe dadurch aber nicht mehr Plätze. V.a. in ländlichen Regionen liege die Wartezeit auf einen Therapieplatz weiterhin bei 3-6 Monaten.

Auch Arbeitsumgebung und Unternehmensführung spielten, so Dr. Munz, für die psychische Gesundheit von Arbeitnehmer*innen eine bedeutende Rolle. Extrembeispiel: die vor einigen Jahren hohe Suizidrate bei der France Telecom, deren früheres Management inzwischen angeklagt sei, weil seine Führungsstrategie zu Mobbing und zu Depressionen bei Mitarbeitern geführt habe. Die AU-Zeiten bei Depression sind deutlich höher als bei den meisten anderen Erkrankungen, was sie auch volkswirtschaftlich bedeutsam mach. Sie führt zu hohen finanziellen Belastungen für Kassen, Arbeitgeber sowie die Volkswirtschaft insgesamt. Thematisiert wurden in diesem Zusammenhang auch die wissenschaftlich gut belegte Wirksamkeit sowie das deutlich positive Kosten-Nutzen-Verhältnis von Psychotherapie, die eine Stärkung der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung auch unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten lohnenswert macht.

 

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