Psychotherapeutische Versorgung während der Corona-Epidemie

Interview mit Dr. Dietrich Munz, Präsident der BPtK

(BPtK)

Psychisch kranke Menschen brauchen auch während der Corona-Epidemie weiter eine psychotherapeutische Versorgung. Psychotherapie findet aber in der Regel von Angesicht zu Angesicht statt. Ist dies überhaupt möglich?

Sicher, insbesondere solange weder Patient*innen noch Psychotherapeut*innen irgendwelche Symptome für Atemwegserkrankungen haben. Dann ist es zwar notwendig, dass ein ausreichender Abstand von ein bis zwei Metern eingehalten, auf das Hände-Schütteln verzichtet, die Husten- und Nies-Etikette beachtet wird und z. B. Türklinken regelmäßig desinfiziert werden. Dies sind die gesundheitlichen Vorsichtmaßnahmen, die jederzeit gelten. Sie ermöglichen aber auch, weiter Patient*innen in der Praxis zu sehen, zu beraten und zu behandeln.

Was ist, wenn die Patient*in Kontakt zu einer Corona-Erkrankten* hatte oder selbst erkrankt ist?

Dann besteht die Möglichkeit, die Behandlung online per Videotelefonat fortzuführen. Diese Möglichkeit war bis vor Kurzem noch stark begrenzt. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen haben jedoch noch Mitte März beschlossen, diese Begrenzungen der Videobehandlung aufzuheben. Die neue Regelung gilt vorläufig ab dem 1. April für das II. Quartal 2020. Wir begrüßen diese Entscheidung sehr, weil sie es überhaupt erst ermöglicht, die psychotherapeutische Versorgung auch für Patient*innen, die sich in Quarantäne befinden, sicherzustellen. Wenn der Patient*in aber kein Videotelefonat möglich ist, sollte auch die Behandlung per Telefon möglich sein. Beides ist wichtig, weil sich bei einem Teil der Patient*innen ohne Behandlung die psychischen Erkrankungen verschlimmern oder chronifizieren können.

Was ist, wenn eine Corona-Patient*in sich so stark in einer akuten Krise befindet, dass ein Videotelefonat nicht reicht?

Zunächst einmal sind Akutbehandlungen weiterhin von der Videobehandlung ausgenommen. Das ist ein Unding. Gerade diese Patient*innen brauchen unbedingt Beratung und Behandlung. Dies muss noch ermöglicht werden. Aber zu Ihrer Frage: Was ist, wenn dies nicht reicht? Ein unmittelbarer Kontakt zwischen einer coronakranken Patient*in gefährdet auch die Psychotherapeut*in und damit die psychotherapeutische Versorgung aller anderen ihrer Patient*innen. Denkbar wäre noch eine Behandlung im Schutzanzug. Doch für eine Behandlung in Schutzkleidung fehlt es aber zum einen in den Praxen an Atemschutzmasken und Schutzkleidung. Zum anderen stellt sich allerdings auch die Frage, ob ein Gespräch mit einer Psychotherapeut*in in Alienverkleidung der Patient*in tatsächlich hilft. Für diese Patient*innen wäre es unbedingt notwendig, per Telefon und Video möglichst viel psychotherapeutische Unterstützung aus der Ferne anbieten zu können.

Was ist mit der psychotherapeutischen Sprechstunde und den probatorischen Gesprächen? Muss die Diagnostik nicht eigentlich immer im unmittelbaren Kontakt durchgeführt werden?

Grundsätzlich ist das so. Die Diagnostik einer psychischen Erkrankung muss grundsätzlich von Angesicht zu Angesicht stattfinden, damit überhaupt ein vollständiger, auch nicht-visueller Eindruck von der Patient*in möglich ist. Die Corona-Epidemie schafft hier jedoch Notlagen bei den Patient*innen, die wir lösen müssen. Wir können in einer solchen weltweiten Epidemie die Patient*innen nicht allein lassen. Deshalb ist es in dieser noch nie dagewesenen Ausnahmesituation notwendig, auf die Videobehandlung zurückzugreifen, wenn sonst keine psychotherapeutische Versorgung möglich ist. Deshalb hält die BPtK es auch für notwendig, befristet Sprechstunden und probatorische Gespräche per Video in begründbaren Einzelfällen zu ermöglichen.

Welche Hilfen bieten Sie Ihren Kolleg*innen, um Sie in dieser Situation zu unterstützen?

Wir informieren fortwährend über den Stand der Entwicklungen auf unserer Homepage. Für die Behandlung per Videotelefonat haben wir bereits im November 2019 einen BPtK-Ratgeber herausgegeben. Darin ist auch ein Kapitel enthalten, das jetzt ganz wichtig wird: „Was muss ich bei der Praxisorganisation beachten?“. Darin werden Fragen beantwortet wie: „Was ist ein zertifizierter Videodienstanbieter? Welche technische Ausstattung ist notwendig? In welchen Räumen ist eine Videobehandlung möglich?“. Außerdem enthält sie eine Information für Patient*innen und Sorgeberechtigte.

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