BO-Fachtag "Raus mit der Sprache!" - Aktualisierung

Auskunfts- und Schweigepflicht gegenüber Krankenkassen, MDK, Behörden, Polizei und Justiz

(LPK BW)

Psychologische Psychotherapeut*nnen (PP) und Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut*nnen (KJP) sehen sich im Berufsalltag häufiger mit Anfragen zu Befunden, Behandlungsverläufen und Prognosen ihrer Patientinnen und Patienten konfrontiert. Dabei sind immer Fragen der Auskunfts- und Schweigepflicht zu berücksichtigen.

Der mit ca. 150 Teilnehmern am 19.06.2021 ausgebuchte LPK-Onlinefachtag richtete sich sowohl an niedergelassene Kolleg*innen als auch diejenigen, die in Kliniken, Beratungsstellen und im Justizvollzug tätig sind. Er wurde vom LPK-Ausschuss Berufsordnung angeregt und mit Unterstützung von Vorstand und Geschäftsstelle organisiert. Nach Begrüßung und Einführung von Kammerpräsident Dr. Dietrich Munz sowie Moderator und BO-Ausschussvorsitzender Dr. Peter Baumgartner gab es vier Impulsvorträge.

Moderation: Dr. Peter Baumgartner

Zunächst referierte der langjährige Kammeranwalt und Leitende Staatsanwalt i.R. Manfred Seeburger zur Auskunfts- und Schweigepflicht gegenüber Polizei, Justiz und Behörden sowie Gerichten. Themen waren Offenbarungsbefugnisse und – pflichten in Fällen von Eigen- und Fremdgefährdung der Patient*innen und zum Schutz von Minderjährigen, sowie in Fällen eigener berechtigter Interessen von Psychotherapeut*innen. Weiter ging Manfred Seeburger ausführlich auf die Themen „Entbindung von der Schweigepflicht“ und „Der Psychotherapeut als Sachverständiger und Zeuge vor Gericht“ ein.

Im Anschluss gab Dr. Rüdiger Freudenstein, Leiter Fachreferats AU des Medizinischen Dienstes (MD) der Krankenkassen BW, einen Überblick zum rechtlichen Auftrag und Aufgaben des MD. Er legte dar, dass Psychotherapeut*innen zur Informationsübermittlung an den MD verpflichtet sind, soweit die Informationen im Einzelfall zur Erfüllung gesetzlicher Aufgaben des Medizinischen Dienstes nach § 275 Abs. 1 bis 3 und 3b, § 275c oder § 275d erforderlich sind, nach § 630f BGB (die ja unabhängig von Krankenkassen und Medizinischem Dienst geführt werden muss) zu übermitteln, d.h. zu Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen, Arztbriefe.

Dr. Judith Arnscheid, KJP und Geschäftsführerin der Gutachtenstelle Stuttgart, ging in ihrem Vortrag mit dem Titel „Können Sie mir nicht mal kurz was schreiben“ zur Auskunfts- und Schweigepflicht in der psychotherapeutischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ein. Sie entwickelte im Fall der 10jährigen HANNAH mit getrennten Eltern konflikthafte Themen/Perspektiven, mit denen sich Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen konfrontiert sehen können: HANNAH: „Ich will meinen Vater nicht mehr sehen und Sie dürfen auch nicht mit ihm sprechen!“ MUTTER: „Die Umgänge mit dem Vater tun meinem Kind nicht gut, bitte schreiben Sie mir etwas für meine Anwältin!“ VATER: „Ich will genauso viele Termine, wie die Mutter!“ GUTACHTERIN: „Sie kennen das Mädchen gut, ich möchte Ihr Wissen nutzen.“ SCHULE: „Für einen Nachteilsausgleich benötigen wir eine Bescheinigung.“ JUGENDAMT: „Wir möchten eine Stellungnahme zur Feststellung einer drohenden seelischen Behinderung.“.

Im letzten Impulsvortrag „Sei standhaft, duldsam und verschwiegen - oder doch nicht?“ thematisierte Tilman Kluttig den Umgang mit der Schweigepflicht im Straf- und Maßregelvollzug. Motto für forensische Psychotherapien könne, wie er ausführte, sein: Standhaftigkeit gegenüber verführenden, bedrohlichen und manipulierenden Patienten, gegenüber Forderungen von Institutionen, auch gegenüber Gegenübertragungsreaktionen zwischen Rettungsphantasien und Einnehmen der Position des Ermittlers oder Verfolgers. Dann auch: Duldsamkeit (und Bescheidenheit) hinsichtlich der Möglichkeit von langwierigen inneren Veränderungsprozessen bei der schwierigen forensischen Klientel, aber auch der „Rekonstruktion“ eines tragfähigen sozialen Empfangsraums. Und schließlich: angemessene Verschwiegenheit in einem Spannungsfeld, welches verschiedenste Interessenlagen aushalten müsse: Bedürfnisse der Patienten, Opferschutz, Schutz der Allgemeinheit und rechtlicher Rahmen der Behandlung.

Nach den Vorträgen bestand die Möglichkeit, in virtuellen Kleingruppen zusammen mit den Referenten konkrete Fallkonstellationen zu erörtern.

Folien der Vorträge:

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