Unter dem Motto „Psychotherapie in Institutionen – Herausforderungen und Perspektiven“ stand der Landespsychotherapeutentag, der am 29.06.2018 in Stuttgart stattfand. Im Vormittagsprogramm referierte Kammerpräsident Dr. Dietrich Munz u.a. zu 20 Jahren Psychotherapeutengesetz. Am Nachmittag war Gelegenheit in Workshops zu wichtigen psychotherapeutischen Arbeitsfeldern stationärer und teilstationärer Versorgung aus den Bereichen Psychiatrie, Psychosomatik, Reha und Jugendhilfe Einblicke in die aktuellen stationären Konzepte und Arbeitsmöglichkeiten zu erhalten.
AKTUALISIERT - Bericht und Vortragsfolien zum Landespsychotherapeutentag 2018 am 29. Juni
Vormittagsprogramm - Plenum
Dr. Munz richtete in seinem Beitrag den Fokus vor allem darauf, was sich für die in Institutionen tätigen angestellten PP u KJP seit dem Psychotherapeutengesetz in ihrer Tätigkeit entwickelt habe. Für die Zukunft formulierte er Mindestvorgaben für die Personalausstattung, die für die Berufsgruppen, sei es in den Kliniken, in der Reha, in Jugendhilfeeinrichtungen oder Beratungsstellen verankert und eingehalten werden müssten. U.a. ging er dabei auf die Ziele/Forderungen ein, die von der BPtK gegenüber der AG Personalausstattung Psychiatrie/Psychosomatik im GBA formuliert wurden. Mit Blick auf die Reform der Psychotherapeutenausbildung, stellte er fest, dass es nun sehr wichtig sei, in den ausbildenden Institutionen, neben einer angemessenen Bezahlung einen angemessenen Status während der Weiterbildungszeit zu ermöglichen. Hier seien auch die je nach Fachabteilungen differentiell unterschiedlichen Vertiefungen institutioneller Weiterbildungsgänge mehr in den Blick zu nehmen.
Eine fünfjährige Weiterbildung unter Einschluss der stationären sowie der neu vorgesehenen Weiterbildungen in den unterschiedlichen Fachrichtungen der institutionellen Versorgung sei dabei unerlässlich. Ebenso wichtig sei, dass in den Institutionen, in denen Psychotherapie durchgeführt werde und der Versorgungsauftrag nach wie vor an der Weiterbildung der Ärzte orientiert sei, auch hier Anpassungen so vorgenommen würden, dass PP/KJP analog der Weiterbildung der Ärzte entsprechende berufliche Laufbahnen mit Leitungsfunktionen ermöglicht werde. Mit Blick auf die aktuellen tariflichen Entwicklungen empfahl Dr. Munz abschließend den Kolleginnen und Kollegen, sich stärker im Personalrat und in der Gewerkschaft zu engagieren, um einerseits mit ihren Kompetenzen und ihren Anliegen bei den Arbeitgebern sichtbarer und bekannter zu werden. Das Ziel müsse bleiben, mit den Tarifpartnern eine Verankerung der Berufe des PP und KJP in der EG 15 zu erreichen.
Ass jur. Johann Rautschka-Rücker beleuchtete den Novellierungsbedarf im Berufsfeld angestellter Psychotherapeuten. Grundproblem sei, dass durch das Psychotherapeutengesetz das SGB V mit Fokus auf die ambulante Psychotherapie geändert worden sei. Daraus resultierten eine Reihe von Problemen, die sich bis heute auf den Status, die Leitungsfunktion und die eigenverantwortliche Tätigkeit approbierter PP und KJP im Krankenhaus auswirkten. Zudem sei der Versorgungsauftrag der Kliniken orientiert an der Weiterbildungsordnung der Ärzte, woraus sich auch ergebe, dass PsychPV und OPS nicht zwischen PP und KJP einerseits und Psychologen andererseits unterscheide. Die jährlichen Vorschläge der BPtK zum OPS wie z.B. die Behandlungsleitung durch PP u KJP zu berücksichtigen im OPS 2019 würden einfach nicht berücksichtigt. Die Landeskrankenhausgesetze seien so unterschiedlich, dass keine generellen Lösungen denkbar seien. Er zeigte die änderungsbedürftigen gesetzlichen Regelungen im Einzelnen auf und wies dabei auch auf einige Ansatzpunkte hin, diese Änderungen durchzusetzen.
Im letzten Hauptvortrag ging Dr. Ulrike Worringen (Deutsche Rentenversicherung DRV Bund) auf die Rolle der Psychotherapie in der Rehabilitation von Menschen mit körperlichen Erkrankungen ein. Ausgehend von einer häufigen psychischen Komorbidität in den somatischen Indikationen sollten psychologische und psychotherapeutische Interventionen entsprechend der Leitlinien fester Bestandteil der Rehabilitation sein. Allerdings sei sowohl die aktuelle psychotherapeutische Versorgung in den Kliniken (z.B. Einhaltung der Vorgaben für Stellenschlüssel) sowie Ausbildung und Status der PPs bei Mitbehandlung somatischer Erkrankungen optimierungsfähig. Hierzu habe die DRV Fortbildungen entwickelt bzw. Praxisempfehlungen herausgegeben, die von den Kliniken genutzt werden können. Auch seien für die ambulante Nachsorge (u.a. Psy-RENA, krankheitsbezogene Ermächtigungen) zusätzliche Hilfen entstanden. Schließlich kritisierte Dr. Worringen die Inhalte der künftige Aus- und Weiterbildung, in der Psychotherapie in der somatischen Versorgung eine noch zu geringe Rolle einnehme. Künftig sollten mehr Versorgungskompetenzen für die Mitbehandlung somatischer Erkrankungen entstehen.
Workshops am Nachmittag
Am Nachmittag fanden insgesamt 8 Workshops zu den folgenden Themen statt.
WS 1: Stationäre Psychotherapie bei Essstörungen
Dr. Sandra Becker (Uniklinikum Tübingen) gab Hinweise für Indikationskriterien zur stationären Behandlung und einen Einblick in die evidenzbasierte stationäre Therapie von Patienten mit Anorexia und Bulimia nervosa sowie mit Binge-Eating-Störung. Dabei stellte sie symptomorientierte Therapiebausteine in Bezug auf Normalisierung des Essverhaltens, Gewichtsmanagement, Veränderung des Körperbildes und die Erarbeitung konfliktorientierter Anteile der Essstörung vor.
WS 2: Alkoholkonsumstörungen: Psychotherapie in Institution und Praxis
Michael Müller-Mohnssen (ZfP Weissenau) wies darauf hin, dass sich Psychotherapie bei Alkoholkonsumstörungen als wirksamste Behandlungsmethode erwiesen hat. Sowohl die Entzugsbehandlung (SGB V) als auch die medizinische Rehabilitation („Entwöhnungs-behandlung“, SGB VI) seien wirksam, erreichen aber zu wenig Betroffene – und diese erst zu einem späten Erkrankungsstadium. Auch spielen komorbide psychische Störungen eine große Rolle. Er ging speziell darauf ein, wie Alkoholkonsumstörungen ambulant psychotherapeutisch wirksam behandelt und wie angemessene psychotherapeutische Versorgung sichergestellt werden kann.
WS 3: Angestellte Psychotherapeuten im Spannungsfeld zwischen Berufs-, Arbeits- und Sozialrecht
Ass. jur. Johann Rautschka-Rücker (Wiesbaden), von 2003 - 2016 Geschäftsführer der Psychotherapeutenkammer Hessen forderte bei der geplanten Novellierung des Psychotherapeutengesetzes, dass eine Reihe von Vorschriften neu formuliert werden, welche die Arbeit von PP und KJP in den psychotherapeutischen Tätigkeitsfeldern der stationären und teilstationären Behandlungen und der Krankenhausorganisation mehr berücksichtigen. Rechtliche Problemstellungen im Angestelltenverhältnis wurden ausführlich mit den Teilnehmern diskutiert.
WS 4: Entgeltgruppe 15 für PP und KJP?!
Wie Dr. Raphael Niebler (FB Psychologie Uni Tübingen), der den erkrankten Dr. Harry de Maddalena (Uniklinik Tübingen) mit vertrat, hervorhob sei die klinisch-psychologische Arbeit und Psychotherapie durch PP und KJP in unterschiedlichsten Angestelltenbereichen lange etabliert und geschätzt, die beiden Berufsgruppen mit hohen Qualitätsstandards seien aus der Versorgung nicht mehr wegzudenken. Allerdings spiegle die Bezahlung nicht die Bedeutung und Qualifikation. Eingehend wurden im Workshop die Schwerpunktthemen Facharztäquivalenz und Weiterentwicklung des Tarifvertrages für PP, KJP und auch PiAs und der Einführung der neuen Entgeltsysteme vorgestellt und diskutiert, u.a. auch wie die Berechtigung der Forderung nach EG 15 beim Arbeitsgeber durchgesetzt werde kann.
WS 5: Psychotherapeuten/innen in der medizinischen Rehabilitation
Dr. Ulrike Worringen (DRV Bund Berlin) und Dieter Schmucker (Städt. Rehakliniken Bad Waldsee) gingen v.a. auf psychische Belastungen und psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz ein. Sie führten zu steigenden Fallzahlen bei Fehlzeiten und Frühberentungen. Bei Menschen mit körperlichen Erkrankungen stellt die psychische Komorbidität ein zusätzlicher Risikofaktor für Einschränkungen der Teilhabe dar. Gerade hier ist in der Rehabilitation psychotherapeutische Kompetenz notwendig. Im Spannungsfeld zwischen hilfreichen Angeboten und zeitlicher Begrenztheit gelte es häufig, die Rehabilitanden dabei zu unterstützen, sich auf den Weg zu einer Veränderung zu machen und diesen dann im Alltag weiter zu verfolgen.
WS 6: Delinquentes Verhalten – Psychotherapie mit Straftätern/innen im Justizvollzug
Silvia Müller (Sozialtherapeutische Anstalt Hohenasperg) und Hans Jürgen Pitzing (Ambulanz für Gewalt- und Sexualstraftäter Stuttgart) wiesen auf die verbreitete, aber falsche Ansicht hin, dass Straftätern nur sehr selten in ambulanten Praxen, in Akut- oder Rehakliniken kommen. Es sei weniger bekannt ist, dass Patienten auch eine gerichtliche Weisung zur Behandlung ihres delinquenten Verhaltens erhalten haben können und dass ggf. eine gewisse Gefahr zur Deliktrückfälligkeit ausgehe. Im Workshop wurden Möglichkeiten, Methoden und Kooperationserfordernisse in der psychotherapeutischen Behandlung von Gewalt- und Sexualstraftätern exemplarisch in Einrichtungen des Justizvollzugs und einer Forensischen Ambulanz aufgezeigt, um ehemalige Straftäter mit zum Teil gravierenden psychischen Störungen behandeln zu können. Dies auch möglichen weiteren Straftaten vorzubeugen.
WS 7: Psychotherapie in der Jugendhilfe Behandlung in der stationären Jugendhilfe
Anja Fritzsche (Haus Fichtenhalde, Fessenbach) und Ullrich Böttinger (Landratsamt Offenburg) fokussierten Psychotherapie und psychotherapeutische Kompetenz als wesentliche konstitutive Merkmale der Jugendhilfe und führten aus, dass sie entscheidend zur qualitativ hochwertigen und wirksamen Versorgung stark belasteter Zielgruppen beitragen. Vor dem Hintergrund steigender Erkrankungsraten sowohl bei Kindern und Jugendlichen als auch bei Eltern sei psychotherapeutisches know how notwendiger denn je. Gleichzeitig werde es in der Praxis immer schwieriger, qualifizierte psychotherapeutische Fachkräfte für die multidisziplinären Fachteams gewinnen und langfristig halten zu können. Dass bei der Reform des Psychotherapeutengesetzes dieses Versorgungsfeld nun im Rahmen der Weiterbildung verankert werden soll, werde als ein wichtiger Beitrag für die dauerhafte Sicherstellung psychotherapeutischer Kompetenz in der Jugendhilfe.
WS 8: Psychotherapie bei Psychosen
Dr. Klaus Hesse (Uniklinikum Tübingen) wies einleitend darauf hin, dass seit der Richtlinienänderung 2014 Psychotherapie bei psychotischen Patienten in allen Phasen in der ambulanten Versorgung indiziert sei, nach aktuellen Leitlinien sollte die Behandlung schon im stationären Rahmen beginnen. Das psychotherapeutische Vorgehen und der Umgang mit wahnhaften Patienten bedürfen besonderer Sensibilität und Fertigkeiten. Ausgehend von beispielhaften Falldarstellungen wurden Möglichkeiten zur Beziehungsgestaltung in der kognitiven Verhaltenstherapie psychotischer Störungen vermittelt. Im zweiten Teil befasste sich Achim Dochat (BruderhausDiakonie Reutlingen) mit der Frage, ob die April 2017 in Kraft getretenen Richtlinienreform Verbesserungen/Erleichterungen des Zugangs zur Psychotherapie für Menschen mit psychotischen Störungen erwarten lassen und wie eine bessere Verbindung mit gemeindepsychiatrischen vernetzten Angeboten gelingen kann.
Zusammenfassung
Vorstand und PTI-Ausschuss konstatierten eine insgesamt erfolgreiche Veranstaltung, die das breite psychotherapeutische Spektrum der PP und KJP in unterschiedlichen Einrichtungen aufzeigen konnte, gut repräsentiert und vertiefend diskutiert hat. Kammerpräsident Dr. Munz dankte insbesondere dem Vorsitzenden Dieter Schmucker und allen im Ausschuss „Psychotherapie in Institutionen“ aktiv beteiligten für die gelungene, gemeinsam entwickelte inhaltliche Konzeption, Organisation und aktive Beteiligung in den Workshops dieses Angestellten-LP-Tags sowie den weiteren Referenten und den Teilnehmern für die interessanten und spannenden Präsentationen und intensiven Diskussionen. Die Foliensätze der Referate finden Sie hier: