Der BPtK-Präsident kritisierte, dass sich mit dem Ausschluss der halben Praxissitze die Krankenkassen durchgesetzt hätten. Durch diese Einschränkung sei ein flächendeckendes ambulantes Angebot an Komplexversorgung praktisch gar nicht möglich. Sie unterminiere das neue Angebot für schwer psychisch kranke Menschen, auf deren Kosten die Kassen letztlich sparen wollten. Mehr als die Hälfte der niedergelassenen Psychotherapeut*innen seien inzwischen mit einem halben Versorgungsauftrag tätig. Ihr Ausschluss heiße, die Versorgung zu rationieren. Wenn es nach den Krankenkassen gehe, solle es die Komplexversorgung „nur auf dem Papier“ geben.
Die Delegierten forderten einstimmig in einer Resolution, die Hindernisse bei der Umsetzung der Richtlinie zur Komplexversorgung möglichst zügig aus dem Weg zu räumen. Der Vorstand und die Delegierten hoffen dabei auf die politische Unterstützung der neuen Bundesregierung.
G-BA Richtlinie zur Personalausstattung in psychiatrischen Krankenhäusern
Die zweite G-BA-Entscheidung, die BPtK-Präsident Munz kritisierte, war die Richtlinie zur Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik (PPP-Richtlinie). Mehr als 20 Jahre nach Verabschiedung des Psychotherapeutengesetzes sei zwar jetzt klargestellt, dass Psychotherapeut*innen, die in den Kliniken arbeiten, sich auch Psychotherapeut*innen nennen dürfen und nicht mehr als Psycholog*innen bezeichnet werden. Bemerkenswert sei jedoch, dass diese Regelung immer noch gegen den massiven Widerstand der Standesvertretung der Ärzt*innen erkämpft werden musste.
Die BPtK habe sich dafür eingesetzt, dass die Regelaufgaben für Psychotherapeut*innen, die in der PPP-Richtlinie aufgeführt werden, dem Kompetenzprofil der Psychotherapeut*innen entsprechen. Dabei sei es darum gegangen, die Versorgungswirklichkeit in den Kliniken zu berücksichtigen. In den Kliniken übernehmen, erklärte Munz, viele Psychotherapeut*innen die Gesamtbehandlungsplanung und Fallführung in Kooperation mit ihren ärztlichen Kolleg*innen. An diesem Punkt sei die BPtK jedoch am Widerstand der ärztlichen Standesvertreter*innen gescheitert. Es komme nun darauf an, mit den ärztlichen Kolleg*innen in den Kliniken, mit denen die Zusammenarbeit auf Augenhöhe und in guter Kooperation Alltag sei, in den Dialog zu treten. Er sei sich sicher, dass die ärztlichen Kolleg*innen genauso wie die Psychotherapeut*innen vor Ort längst erkannt haben, dass eine kooperative Leitung eine gute Lösung ist und dass es Sinn mache, diese Wirklichkeit auch in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses abzubilden.
Vor allem jedoch stellte Munz fest, sei es ein Skandal, dass die psychotherapeutische Versorgung der Patient*innen in den Kliniken nicht verbessert werde. Die dafür notwendige Erhöhung der Minutenwerte sei durch eine fatale Allianz zwischen Deutscher Krankenhausgesellschaft und GKV-Spitzenverband verhindert worden. Viele Delegierte teilten die Einschätzung des Vorstands, dass der gesetzliche Auftrag mit der jetzigen Regelung nicht erfüllt sei. Psychisch kranke Menschen brauchten „nicht mehr Psychiatrie, sondern mehr Psychotherapie“.
Der DPT forderte einstimmig in einer Resolution, den gesetzlichen Auftrag in der PPP-Richtlinie umzusetzen und die Minutenwerte für Psychotherapie in den Kliniken anzupassen. Auch hier setzen der DPT und der Vorstand der BPtK auf Korrekturen durch die Gesundheitspolitik.
Strukturreform des G-BA notwendig
Resümierend hielt BPtK-Präsident Munz fest, dass die BPtK sich damit gleich zweimal an das BMG wenden musste, damit Richtlinienbeschlüsse des G-BA nur mit Auflagen genehmigt oder beanstandet werden. Insgesamt zeige die Historie der Entscheidungen des G-BA zur Versorgung psychisch kranker Menschen, dass diese Einrichtung der gemeinsamen Selbstverwaltung eine Strukturreform brauche. Die Stimmen der Patient*innen, aber auch die der Ärzt*innen, der Psychotherapeut*innen und der Pflegenden müssen im G-BA gestärkt werden. Sie sollten künftig nicht nur punktuell beratend hinzugezogen werden, sondern mitentscheiden. Er sei sehr froh, dass dieser Punkt auch auf der Agenda der neuen Bundesregierung stehe.
Digitalisierung braucht Sorgfalt
Drittes zentrales Thema im Bericht des Vorstands war die Digitalisierung des Gesundheitssystems. Munz erinnerte daran, dass die Landespsychotherapeutenkammern und die BPtK seit 2020 mit hohem Ressourceneinsatz an der Ausgabe des elektronischen Psychotherapeutenausweises (E-PtA) arbeiten. Ziel dieser Kraftanstrengung sei es gewesen, den Kammermitgliedern Sanktionen zu ersparen. Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz seien 2019 Sanktionen ab Juli 2021 eingeführt worden für Leistungserbringer, die aufgrund von fehlenden E-PtA auf die elektronische Patientenakte (E-PA) ihrer Patient*innen nicht zugreifen könnten.
Tempo machen und Druck ausüben sei aber noch keine gute Politik, kritisierte Munz. Für den Zugriff auf die E-PA sei der E-PtA gar nicht notwendig, dafür reiche ein Anschluss an die Telematikinfrastruktur mittels SMC-B-Karte vollkommen aus. Die Digitalisierung müsse sich an den Bedarfen der Patient*innen ausrichten. Gegenwärtig werde die E-PA von Patient*innen aber noch gar nicht nachgefragt. In einer aktuell von der Gematik veröffentlichten Umfrage werde deutlich, dass bisher nicht mehr als drei Prozent der Ärzt*innen und ein Prozent der Psychotherapeut*innen von ihren Patient*innen gebeten werden, Daten in der E-PA zu speichern. Aktuell verfügten weniger als ein Prozent der GKV-Versicherten über eine digitale Akte ihrer Gesundheitsdaten. Da frage man sich schon, wofür das Ganze.
Die Befragung der Gematik zeige im Übrigen auch, dass das Vertrauen in die Datensicherheit von Telematikinfrastruktur, elektronischer Gesundheitskarte und elektronischer Patientenakte noch ausbaufähig sei. Dies gelte insbesondere für den ambulanten Bereich. Aber auch die TI- und IT-Expert*innen in Krankenhäusern vertrauten nur mit 67 Prozent in die Telematikinfrastruktur; 62 Prozent in die Datensicherheit der elektronischen Gesundheitskarte und gerade einmal 59 Prozent in die Datensicherheit in der E-PA. Im ambulanten Bereich waren die Zahlen mit 30 Prozent der Ärzt*innen und 16 Prozent der Psychotherapeut*innen, die die E-PA-Daten für sicher halten, noch einmal deutlich geringer.
Vor diesem Hintergrund mache ihm ein Aspekt aus den Koalitionsverhandlungen große Sorge. In einem Papier der AG Gesundheit und Pflege heiße es: „alle Versicherten bekommen DSGVO-konform eine ePA zur Verfügung gestellt; ihre Nutzung ist freiwillig (opt out)“. Er denke, hierüber müsse man noch einmal miteinander sprechen. Fest stehe natürlich, dass jeder Versicherten* eine E-PA zustehe. Fest stehe auch, dass die Versicherten über die Inhalte der E-PA entscheiden. Wichtig sei ihm aber, dass die Psychotherapeut*innen bei Nachfragen ihre Patient*innen beraten können und er tendiere wie bisher dazu, zu allergrößter Vorsicht zu raten (Resolutionen „Digitalisierung braucht Sorgfalt und muss Versorgung verbessern!“ und „E-Evidenz-Verordnung gefährdet berufliche Schweigepflicht“).